• Geschichte

Die Rom_nija im 17. - 18. Jahrhundert - Nach dem Krieg beginnt die Verfolgung

Im gesamten osmanischen Reich wurden Rom_nija und Sinti_zze, als eines von vielen nomadisch lebenden Völkern, nicht besonders diskriminiert. Als die Türken aus Ungarn vertrieben wurden, wurden sie wieder weitgehend rechtlos.

Da keine unmittelbare Kriegsgefahr mehr gegeben war und die Rom_nija als Waffenschmiede und Soldaten nicht mehr gebraucht wurden, waren ihnen nun die adeligen Grundherrn nicht mehr wohl gesonnen. Es kam zu schlimmen Verfolgungen und Vertreibungen von Rom_nija aus dem westungarischen – heute burgenländischen – Raum.

Bereits ein Jahr nach der Rückeroberung Ungarns wurde gesetzlich festgelegt, dass alle Rom_nija des Landes zu verweisen wären – alle, die sich dagegen wehrten, sollten mit dem Schwert hingerichtet werden.

 


 

Landesverweis mit Androhung drakonischer Strafen

Am 1. Oktober 1689 wurde ein offenes Patent publiziert:

"Alle im Land herumstreifenden Zigeuner samt ihren Frauen und Kindern und anderem Gesindel seien des Landes zu verweisen. Männer, die in flagranti erwischt würden und Frauen, die ohne ihren richtigen Ehemann angetroffen würden, sollten ohne Prozeß und Urteil sofort mit dem Schwert hingerichtet werden. Frauen, die ordentlich verehelicht seien und ihren Männern folgten, weiters Söhne und Töchter bis zum 18. Lebensjahr, die mit ihren Eltern zögen, sollten nicht hingerichtet, aber lebenslänglich eingesperrt und zur Arbeit condemniert werden, und von deren Kinder sollten in die Spitäler oder in Dienst getan werden."

Dasselbe Patent wurde am 22. November 1689 nochmals allen Ämtern zur Kenntnis gebracht.

 

„Zigeunerjagen“ - Die Verfolgung unter Karl VI.

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In jener Epoche, in der das Barock seine höchste Prachtentfaltung erlebte, in der großartige Bauten entstanden (Karlskirche, Stift Melk), in der Johann Sebastian Bach wirkte und Gedanken der Aufklärung verbreitet wurden, ging man unglaublich brutal und unmenschlich gegen die Rom_nija und Sinti_zze vor.

Karl VI. (1711-1740), der Vater von Maria Theresia, war römisch-deutscher Kaiser und König von Ungarn. Er musste verschiedene außenpolitische Niederlagen hinnehmen (Verzicht u.a. auf Spanien, Serbien, die kleine Walachei), konnte aber mit Hilfe des  Feldherrn Prinz Eugen von Savoyen auch zahlreiche Siege verzeichnen. Der Bau der Karlskirche erfolgte auf seinen Auftrag hin. Er war jener Herrscher, der die Rom_nija und Sinti_zze bis dahin am schlimmsten verfolgte.

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1720 bestimmte eine kaiserliche Verordnung Karls VI., dass die "Zigeuner und jegliches liederliche Gesindel in Österreich" ausgerottet werden sollten.

1725 erließ Kaiser Karl VI. eine Verordnung, die besagte, dass Rom_nija gefangen genommen werden sollten; diejenigen, die Straftaten begangen hätten, sollten hingerichtet werden, die anderen aber mit einem Brandzeichen am Rücken gekennzeichnet und, unter Androhung der Enthauptung bei einer Rückkehr, abgeschoben werden. Dies wurde v.a. in den österreichischen Gebieten vollzogen.

1726 ordnete Karl VI. an, dass alle männlichen Roma hinzurichten sind und den Frauen sowie Kindern unter 18 Jahren ein Ohr abzuschneiden ist.

Daher flüchteten viele Rom_nija nach Ungarn, weil sie glaubten, dass die adeligen Grundherrn ihnen Schutz bieten würden. Es wurden Warntafeln für Rom_nija errichtet, auf denen die Strafen abgebildet wurden, falls die österreichischen Landesgrenzen überschritten wurden.

 

 

 

DiesZigeunerverbotstafel  aus Landesmuseum Joanneum/Volkskunde, Graz,  Inventarnummer: 35.867,  Foto: Joanneum/Bild- und Tonarchive Warntafeln wurden als "Zigeunerpflöcke" bezeichnet. Solche Warntafeln wurden auch an der steirisch-ungarischen Grenze aufgestellt.

 

Bald wurden Rom_nija auch in Ungarn verfolgt. 1748 wurde in der Herrschaft Esterhazy angeordnet: "In den fürstlichen Ortschaften sollen weder ungarische, noch deutsche Zigeuner geduldet werden. Bei Zuwiderhandeln soll der Ortsrichter zur Verantwortung gezogen werden und selbst eine Strafe von 12 Gulden erlegen, wenn er Zigeuner nur eine Stunde lang in der Nähe des Dorfes oder Marktes dulde."

Als Folge dieses Rundschreibens war nun die Bevölkerung auch im westungarischen/heute burgenländischen Raum so aufgewiegelt, dass sie sich an der Vertreibung der Rom_nija beteiligte. Diese ungemein grausamen Verfolgungen wurden als "Zigeunerjagen" bezeichnet und in Dokumenten oft als abenteuerliches Ereignis dargestellt.

 

 

 

 

Rom_nija unter Maria Theresia

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Maria Theresias Regierungszeit war gekennzeichnet durch zahlreiche Reformen. Sie führte ein einheitliches Abgabensystem für die Bauern ein, ließ das Land erstmals vermessen und reformierte das Beamten-, Schul- und Fürsorgewesen. Maria Theresias Politik gegenüber Rom_nija unterschied sich grundlegend von jener der Herrscher vor ihr. Nicht Vertreibung und Verfolgung, sondern rigide Kontrollen und grausame Maßnahmen zur Veränderung der Lebensweisen, das heißt Anpassung an die der bäuerlichen Bevölkerung, bestimmten ihre Politik gegenüber Rom_nija.

Quelle: Mayerhofer Claudia: Dorfzigeuner. Kultur und Geschichte der Burgenland- Rom_nija von der Ersten Republik bis zur Gegenwart, Wien, 1987, S. 23 f

Vier Verordnungen, die das Leben der Rom_nija entscheidend veränderten

  1. Verordnung: 1758 wurde den Rom_nija verboten, Pferde und Kutschen zu besitzen, und sie wurden gezwungen, sich anzusiedeln. Damit hatte man viele ihrer Lebens- und Einkommensgrundlage (Pferdezucht, Wanderhandwerk, Handel) beraubt. Sie erhielten von den Grundbesitzern Baugrund und Baumaterialien, wofür sie Abgaben leisten mussten. Der Baugrund, der den Rom_nija zur Verfügung gestellt wurde, lag meist am Ende oder außerhalb der Dörfer. Rom_nija durften nur mit Erlaubnis und genauer Zielangabe die Dörfer verlassen. Der Dorfrichter hatte die Pflicht, die Rom_nija ständig zu kontrollieren und über sie monatlich Bericht zu erstatten.
  2. Verordnung: Rom_nija erhielten andere Nachnamen. Da ein üblicher Nachname "Zigani" war, wurden sie sodann Neubauer oder Neubürger, Neusiedler oder Neuungar benannt. Die jungen Männer sollten ein Handwerk erlernen und zum Militär einberufen werden. Jedoch weder das Militär noch Manufakturen oder Handwerker stellten Rom_nija ein.
  3. Verordnung: Früher verwalteten sich die Roma Gemeinden und Romagruppen selbst, sie hatten einen Wojwoden als Vorstand, der Recht gesprochen hat. Nun wurde ihnen dieses Recht genommen, alle Rom_nija wurden der örtlichen Gerichtsbarkeit (Dorfrichter, Komitatsgericht) unterstellt. Weiters wurde in jedem Dorf eine genaue Registrierung der Rom_nija angeordnet.
  4. Verordnung: Rom_nija wurde verboten untereinander zu heiraten. Die Ehen mit Nichtroma wurden gefördert. Der grausamste Abschnitt dieser Verordnung war, dass den Familien alle Kinder über fünf Jahren abgenommen und Nicht-Roma Familien zur Erziehung übergeben werden sollten. Die Verordnung wurde in bestimmten ungarischen Komitaten immer wieder ausgeführt, die Kinder wurden im Alter von 12 Jahren bei anderen Familien als Dienstboten eingesetzt.

 

 
Joseph II

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Maria Theresias Sohn setzte die Politik seiner Mutter fort. 1783 befreite er zwar die Rom_nija in der Bukowina aus der Leibeigenschaft, bis dahin mussten sie als Sklaven in Klöstern und bei Adeligen verschiedenste Dienste leisten. Im selben Jahr gab er Richtlinien zur Behandlung der Rom_nija heraus, "de Domicilatione et Regulatione Zingarorum", die u.a. besagten:

- Rom_nija durften sich nicht in Wäldern ansiedeln, sondern nur in Orten, wo sie besonders kontrolliert werden konnten.01-4-5 2

- Das Wandern wurde verboten. Die Dörfer durften sie nur an Jahrmärkten und bei besonderer Notwendigkeit verlassen.

- Pferde durften nur als Arbeitstiere gehalten werden. Der Pferdehandel war verboten.

- Rom_nija mussten die Sprache und Kleidung der Dorfbevölkerung annehmen.

- Bei Gebrauch der eigenen Sprache, Romani, drohte eine Strafe von 24 Stockstreichen.

- Rom_nija durften untereinander nicht heiraten.

                                                - Nur wenn es die Behörde als notwendig erachtete, durften Rom_nija als Schmiede arbeiten.

Quelle: 
Mayerhofer Claudia: Dorfzigeuner. Kultur und Geschichte der Burgenland-Roma von der Ersten Republik bis zur Gegenwart. Wien, 1987, S. 27 f

 

 

Kinderraub


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Besonders grausam war die Politik gegenüber den Kindern. Joseph II. hielt daran fest, dass die Kinder ab dem 4. Lebensjahr den Eltern weggenommen und bei Pflegeeltern in anderen Herrschaften aufwachsen sollten. Aus Dokumenten und Registrierungen geht hervor, dass 1786 in den Bezirken Eisenstadt, Mattersburg und Oberpullendorf 17 Familien und in den Bezirken Oberwart, Güssing und Jennersdorf 72 Familien lebten.

 

Von den 227 Kindern wuchsen nur 74 Kleinkinder bei den Eltern auf, 60 wurden zu Pflegeeltern gebracht, 93 mussten als Knechte und Mägde bei Bauern arbeiten und wohnen.

 

Nach dem Tod Josephs II. wurde diese rigide Politik eingestellt. Aufgrund außenpolitischer Schwierigkeiten beschäftigte man sich nicht mehr so intensiv mit den Minderheiten des eigenen Landes. Die negative Grundeinstellung blieb allerdings erhalten.

 

 

Liste der nach Deutsch Tschantschendorf umgesiedelten Kinder 1782

 

 

Kinderraub seitens der Behörden – Ein Reisebericht

01-4-7 1Die Praxis der gewaltsamen Abnahme der Kinder und deren Erziehung bei Bauern setzte sich in den nachfolgenden Jahrzehnten fort.

Aus einem Reisebericht einer französischen Schriftstellerin aus dem 19. Jahrhundert, die Augenzeugin eines "Kinderraubs seitens der Behörden wurde"...

"An einem für dieses Volk entsetzlichen Tag, an den es noch mit Schrecken zurückdenkt, erschienen an allen Orten Ungarns, wo sich Zigeuner befanden, von Soldaten begleitete Karren. Die Kinder, vom eben entwöhnten Säugling bis zu den Jungvermählten, die noch ihre Hochzeitskleider trugen, wurden von ihnen fortgenommen. Die Verzweiflung dieser unglücklichen Bevölkerung lässt sich nicht beschreiben. Die Eltern warfen sich vor den Soldaten auf den Boden und klammerten sich an die Karren, die ihre Kinder entführten. Sie wurden mit Stöcken und Gewehrkolben weggestoßen, und da sie nicht fähig waren, den Wagen zu folgen, auf dem das Teuerste auf der Welt aufgeladen war, nämlich ihre kleinen Kinder, begingen viele Eltern auf der Stelle Selbstmord."

aus Jean-Paul Clebert : Die Zigeuner. Wien, Berlin, Stuttgart, 1964. S. 87

 

 

Menschen und Grenzen versperren uns den Weg

Nach dem Tod Josephs II. wurden die Konskriptionen und ständigen Kontrollen eingestellt, die Gesetze gegen Rom_nija blieben nach wie vor aufrecht. Trotz dieser widrigen Umstände dürften bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 3000 Rom_nija auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes sesshaft geworden sein. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Zuzugsbestimmungen für ungarische Rom_nija in den österreichischen Teil der Monarchie verschärft. 1870 erließ Ungarn ein Ausreiseverbot für Rom_nija, und die im österreichischen Gebiet angetroffenen Rom_nija wurden wieder nach Ungarn abgeschoben. In den burgenländischen, damals westungarischen Dörfern kam es zu einem massiven Zuzug sogenannter "deutscher Zigeuner", das heißt deutschsprachiger Rom_nija aus Westungarn. Die Gemeinden versuchten diese Ansiedlungen zu verhindern. Laut einer Anweisung der Komitatsverwaltung Eisenburg an die zuständigen Ämter mussten alle Rom_nija auch mit ihren Spitznamen registriert werden, um sie besser kontrollieren zu können. 1888 gab das Innenministerium einen Erlass heraus, nach dem die Behörden massiv gegen wandernde Rom_nija vorzugehen hatten. Um eine weitere Zuwanderung zu verhindern, wurde 1909 verfügt, alle wandernden Roma-Gruppen sofort zu verhaften. Diese Verordnungen trafen die burgenländischen Rom_nija sehr hart. Viele von ihnen übten nämlich – wie zahlreiche andere Handwerker auch – ein so genanntes Störgewerbe aus, das heißt, sie zogen als Kessel- und Kupferschmiede, Scheren- und Messerschleifer, Rastelbinder, Musiker und Bärenführer von Frühjahr bis Herbst von Dorf zu Dorf.

Quelle: 
Baumgartner, Gerhard: 6x Österreich. Geschichte und aktuelle Situation der Volksgruppen. Herausgegeben von Ursula Hemetek für die Initiative Minderheiten. Klagenfurt: Drava, 1995, S. 116 
Mayerhofer, Claudia: Dorfzigeuner. Kultur und Geschichte der Burgenland-Roma von der Ersten Republik bis zur Gegenwart. Wien, 1987

 

 

Lowara und Walachische Rom_nija

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Aus Konskriptionen im Komitat Wieselburg in den 1880er Jahren kann man erkennen, dass sich neue zugewanderte Gruppen von Rom_nija im Gebiet Wieselburg aufhielten. In den Orten Frauenkirchen, Deutsch Jahrndorf, Wallern, Nickelsdorf, Illmitz, St. Andrä, Apetlon, Zurndorf, Andau, Tadten u.v.m. boten Pferdehändler ihre Tiere an.

Die Lovara kamen aus der Karpato-Ukraine in das Gebiet des heutigen Nordburgenlandes und hielten sich vorwiegend im Seewinkel auf. Die Bezeichnung Lovara ist abgeleitet aus dem ungarischen "Lo", das Pferd bedeutet. Sie waren in Ungarn, in Ost- und Mitteleuropa als Pferdehändler tätig.

Ab 1909 gingen Ämter und Behörden besonders hart gegen die Lovara vor. Sie sollten entweder zur Ansiedlung gezwungen oder vertrieben werden - für beide Vorgehensweisen gab es entsprechende Gesetze.

Die Familien siedelten in Orten rund um den Neusiedlersee, von wo aus sie den Pferdehandel betrieben. Bis 1921 verkauften sie auch auf den ungarischen Märkten von Zalaegerszeg, Sopron, Moson, Altenburg, Székesfehérvár (Stuhlweißenburg). Nachdem das Burgenland zu Österreich kam (1921), war die österreichisch-ungarische Grenze ein Hindernis, und sie verlegten ihre Tätigkeiten auf Viehmärkte in Wien, Niederösterreich und im Burgenland.

Die restriktiven Gesetze in der Zeit des 1. Weltkrieges und in der Zwischenkriegszeit trafen u.a. die Lovara in ihrer wirtschaftlichen Basis. 1916 wurde veranlasst, dass allen wandernden Rom_nija die Zugtiere und Wagen abgenommen wurden. Pferde, Maultiere und Esel konnten nur mehr mit polizeilicher Genehmigung gekauft und gehalten werden. In der Zwischenkriegszeit zogen Sinti und Lovara als Wanderhändler und Marktfahrer von Ort zu Ort, wobei sie sich an einen fixen Markt- und Wallfahrtskalender hielten. Weitere Gesetze in der Zwischenkriegszeit, wie das Verbot des Hausierhandels, stellten enorme Beeinträchtigungen dar.

Die Überlebenden des Holocaust kehrten nicht ins Burgenland zurück, sondern bauten sich in Wien Existenzen als Teppichhändler, Altwarenhändler und Marktfahrer auf.

Ceija Stojka stammt aus einer Lovara-Familie. In ihren Publikationen (u.a. "Wir leben im Verborgenen") und im Film "Ceija Stojka" berichtet sie von ihren Kindheitserlebnissen in einer Familie der Fahrenden und von ihren Erinnerungen als Kind in den KZs von Auschwitz, Ravensbrück und Bergen-Belsen.

Auch sogenannte "Trogmacherzigeuner" (Olah-Cigan) wanderten bis zum Ersten Weltkrieg von Mittel- nach Westungarn, dem heutigen Burgenland. Es waren walachische Rom_nija, die in den Sommermonaten mit Pferd und Wagen unterwegs waren und ihre Dienste und Waren anboten.

 

 

Lebensgrundlagen

Rom_nija wurden in den meisten Ländern an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Wenn sie zwangsangesiedelt wurden, raubte man ihnen oft die Lebensgrundlagen (z.B. Verbot des Pferdehandels unter Kaiserin Maria Theresia). Selten wurden andere Möglichkeiten wie etwa des Erwerbs von Grund und Boden zur Bewirtschaftung geschaffen. Die Betätigung in Wirtschaftsnischen war daher die einzige Möglichkeit des Lebensunterhalts. Zu diesen Marktlücken zählt inoffizielles, informelles Handwerk, wie das Schmieden von Kesseln und Nägeln, die Produktion von Ziegeln und die Herstellung von Sieben und Trögen für die Landwirtschaft.

Dienstleistungen und Handel, Musik und Schaustellerei

Das Anbieten von Dienstleistungen für die bäuerliche Wirtschaft war eine weitere Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt zu verdienen (Reparaturarbeiten an Metallgegenständen und Tonwaren, Verzinnen von Kupfergeschirr, Herstellen von kleineren Metallgegenständen, Korbwaren, und vieles mehr). Diese Arbeiten werden auch als Störhandwerk oder Wanderhandwerk bezeichnet. Die Handwerker waren gezwungen ihre Dienste direkt dem Käufer anzubieten und arbeiteten vor Ort. Um das Überleben zu sichern, war es aber oft erforderlich, regelmäßig von festen Wohnsitzen aus zu den Kunden zu wandern.

Der Handel mit Pferden, (später) mit Autos, mit Teppichen und Altwaren, wie auch der Handel mit Kleinwaren (Hausierhandel) waren ein wichtiger, aber auch riskanter Wirtschaftszweig.

In Zeiten, in denen es für die bäuerliche Bevölkerung wenig Unterhaltungsmöglichkeiten gab, noch keine Tonträger vorhanden waren und Musik nur "live" erlebt werden konnte, hatten Musik, Schaustellerei und Dressur von Tieren eine andere Bedeutung als heute. Fremde Weisen, Kunststücke oder gar dressierte Bären boten willkommene Abwechslung zum von "Volksweisen" und kirchlicher Musik dominierten dörflichen Alltag.

Die Adeligen, die an ihren Höfen Roma Kapellen aus dem Orient und Balkan beherbergten, wirkten auch als Vorbild für die bäuerlichen Schichten.



 

 

Dienstleistungen - Hilfsdienste in der bäuerlichen Wirtschaft

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In den von Bauernwirtschaften dominierten Gemeinden gab es mehrere Tätigkeiten, die von Hilfskräften ausgeführt wurden. Je nach landwirtschaftlicher Saison wurden v.a. in Erntezeiten Hilfskräfte gebraucht. Es waren Tätigkeiten, die sich meist nur wenige Wochen im Jahr stattfanden (Weinlese, Getreide- und Kartoffelernte, Holzarbeiten), für die so genannte Tagelöhner eingesetzt wurden. Auch in der Viehwirtschaft wurden Hilfskräfte als Hirten für Pferde, Rinder, Schweine und Kleinvieh gebraucht.

All diese Tätigkeiten wurden entweder von der bäuerlichen Unterschicht (Menschen ohne eigenen Besitz, Knechte und Mägde) oder von Rom_nija ausgeführt.

Daneben gab es Tätigkeiten, die sowohl in der Roma-Gesellschaft, als auch bei der Mehrheitsgesellschaft, verpönt waren, wie z.B. die Arbeit des Schinders (Wasenmeister), die von Rom_nija und Nicht-Roma ausgeübt wurde. Der Schinder musste verendete Tiere vom Bauernhof abholen, sie enthäuten und auf dem dafür vorgesehenen Schinderacker verscharren. Da diese Menschen mit Totem in ständigem Kontakt waren, galten sie bei anderen Rom_nija als unrein und waren aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

 

Hilfsdienste im Baugewerbe

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In der Zwischenkriegszeit konnten Rom_nija gerade noch als Hilfskräfte im Straßenbau und in der Straßenerhaltung Beschäftigung finden.

Die Erzeugung von Lehmziegeln bot eine weitere saisonale Beschäftigungsmöglichkeit. Oft arbeiteten ganze Familien in den Sommermonaten in Lehmgruben, wo sie luftgetrocknete Ziegel herstellten. Für die Produktion von gebrannten Ziegeln wurden im Südburgenland auch oft italienische Wanderarbeiter engagiert.

Diese Tätigkeiten waren - neben Hilfsarbeiten auf herrschaftlichen Gütern und in Industriebetrieben - kurzfristige Arbeitsmöglichkeiten, die durch ein ungeregeltes Einkommen und dem Fehlen jeglicher sozialen Absicherung charakterisiert waren.

 

 
 

 

Handwerk als Quelle der Identität

06-4-3 1Wie die Auflistung der verschiedenen Roma-Gemeinschaften zeigt, ist bei vielen ihre Bezeichnung von der beruflichen, handwerklichen Spezialisierung abgeleitet:

Kalderasch - Kesselschmiede


Lowara - Pferdehändler


Tschurara - Siebmacher

06-4-3 2Linguari - Löffelschnitzer

Dies mag auf eine Tradition im Osmanischen Reich zurückzuführen sein, wo aus einigen Berufen die ethnische Bezeichnung (Name der Volksgruppe) und ein gemeinsames Bewusstsein entstanden sind. Obwohl von den Nicht-Rom_nija ein angemessener gesellschaftlicher Stellenwert verweigert wurde, stellten diese Handwerke für die Romagesellschaften einen Faktor dar, der Identität stiftete.

Für die Mehrheitsgesellschaft waren sie zu bestimmten Handwerken, Berufen, Gruppen zuordenbar, bzw. stammen die Bezeichnungen auch aus Sprachen der Mehrheitsbevölkerung.

Kalderasch, vom rumänischen caldare = Kessel 
Lowara, vom ungarischen lo = Pferd

Durch Industrialisierung und durch wirtschaftliche Zwänge sind Veränderungen in diesen "traditionellen" Bereichen erfolgt. Manche Gruppen sind auf neue, verwandte Marktlücken gestoßen (Altmetallhandel) und haben neue Produkte, Dienstleistungen und Kooperationen entwickelt.

 

 

 

Wandernde Rom_nija

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Zu bestimmten Jahreszeiten zogen wandernde Rom_nija aus dem ungarischen Kernraum und aus Slowenien in das früher westungarische – heute burgenländische – Gebiet und versorgten die bäuerliche Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen.

Kesselschmiede aus Innerungarn besuchten die Dörfer, um ihre Produkte und Dienstleistungen (Reparaturhandwerk) anzubieten. Weiters boten auch Muldenmacher aus Innerungarn auf ihren Wanderungen ihre Produkte an. Sie stellten Tröge (Mulden, Multa) aus bestimmtem Holz her, die sie an die bäuerlichen Haushalte verkauften.

Aus dem slowenischen Raum kamen einmal jährlich, meist in der Erntezeit, Siebmacher, um ihre Produkte anzubieten. Sie stellten verschiedene Siebe aus Pferdehaar her, die unentbehrliche Geräte bei der Getreideernte waren.

 

 

 

Restriktive Bestimmungen 
gegen das Wandergewerbe

Die restriktiven Bestimmungen vor dem 1. Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit versuchten das Wandergewerbe zu verbieten. Besonders striktes Vorgehen gegen Rom_nija gab es vor allem in den angrenzenden steirischen Bezirken. Hier wurde in den Medien und von offiziellen Stellen ein "Zigeunerproblem" geschaffen. Vor allem den wandernden Gruppen wurden immer wieder kriminelle Handlungen (Raub, Diebstahl, Einbrüche) unterstellt, die sich nach genauer Untersuchung meist als falsch herausstellten. 1913 wurde in einem Amtsblatt von der steiermärkischen Statthalterei folgende Handlungsanweisungen für die Bevölkerung herausgegeben:

1. Jedes Auftauchen von Zigeunern zeige jedermann der Gemeinde oder dem nächsten Gendarmerieposten an (...).

2. Man lasse die Zigeuner nicht ins Haus, nicht wenn sie betteln kommen und nicht, wenn sie um Nachtherberge bitten (...).

3. Man kaufe nichts von Zigeunern, denn ihre Ware ist fast ausnahmslos gestohlen oder gefälscht oder mit Mängel behaftet (...).

4. Man lasse sich nicht von Zigeunerinnen wahrsagen (...). Daraufhin wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts slowenische Roma Familien, die in der grenznahen Stadt Radkersburg einkaufen wollten, verhaftet. Auch wurden Wallfahrer aus Ungarn, die nach St. Leonhard pilgerten, Ziel des behördlichen Interesses. Die Grenzwachen zu Ungarn und Slowenien wurden verschärft.


 

Erwerbsgrundlagen

 Bearbeitung von pflanzlichen Material

 

Pflanzen, die in der Natur wild wachsen, stellten Ausgangsmaterialien für verschiedenste Produkte dar. Kostenloses Rohmaterial waren nicht nur Weiden- und Haselnussruten, sondern auch Maisfedern und Binsen, Schilfrohr, Stroh und Lianen.

 

Korbflechter und Besenbinder

06-4-6-1 1Die Bauern stellten im so genannten Haushandwerk in den Wintermonaten meist ihren eigenen Bedarf an Körben und Besen her. Wenn dazu die nötige Zeit fehlte oder ein besonderes Produkt angefertigt werden sollte, nahm man die Dienste der Roma in Anspruch.

Manche Familien hatten sich auf bestimmte Produkte und Techniken spezialisiert und verkauften diese an die Bauern der umliegenden Gegend.

Auch an Händler wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmte Produkte (Näh- und Strickkörbe, Besen) für den Markt in Graz und Wien verkauft.

An der Produktion war meist die ganze Familie beteiligt. Das Rohmaterial musste besonders aufbereitet werden. Weidenruten mussten beispielsweise weich gemacht werden, bevor sie weiter zu Körben für die Lagerung von Ackerfrüchten, Buckelkörben, Wäschekörben etc. verarbeitet werden konnten.
 Die Bauern beauftragten Rom_nija mit der Herstellung von Wagenkörben. Solche überdimensionalen Körbe wurden als Aufsatz für den Viehwagen angepasst und dienten u.a. zum Transport von Grünfutter.

Aus Binsen wurden Taschen und aus Stroh große bauchige Körbe für die Aufbewahrung des Korns angefertigt.

 

 

06-4-6-2 1Sesselflechter

In Deutsch-Kaltenbrunn, Sulzriegel und St. Martin an der Raab hatten sich mehrere Rom_nija auf die Herstellung von kunstvollen Rutensesseln spezialisiert.

Der Korpus des Sessels war aus Holz, die Lehne und die Sitzfläche wurden mit einem weißen Weiderutengeflecht bespannt.

Verkauft wurde, indem die Hersteller mit Sessel beladen von Dorf zu Dorf gingen und ihre Produkte anboten.

 

 

 

 

 

Pinsel- und Bürstenbinder

06-4-6-3 2Die Herstellung von bestimmten Pinseln und Bürsten war Frauenarbeit. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde dieses "Frauenhandwerk" erwähnt.

Die traditionellen burgenländischen Häuser waren Lehmbauten, deren Fassaden jährlich ausgebessert und gekalkt werden mussten. Dazu brauchte man spezielle Pinsel, die aus Rosshaar und später aus Straußgras hergestellt wurden.

Straußgras (Zwirntippan, roter oder weißer Tippan) war eine wildwachsende Grasart, die getrocknet und zu kleinen Strähnen zusammengeknüpft wurde. Mehrere Strähnen wurden zu Bürsten zusammengefügt. Der Stiel wurde vom Käufer angebracht.
Die Frauen gingen von Haus zu Haus, um ihre Produkte zu verkaufen oder gegen Naturalien einzutauschen.

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Metallverarbeitende Berufe

 

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Altes Eisen - neue Nägel

Bestimmte Handwerkszweige sind in vielen Teilen Europas vertreten (Schmiede, Korbflechterei, Erzeugung von Holzwaren). Daher hat man angenommen, dass dies traditionelle Bereiche waren, die die Rom_nija bereits in Indien ausgeführt hätten.

Untersuchungen der Sprache haben jedoch gezeigt, dass es in den Romanes-Dialekten kaum indische Ursprungswörter für die Werkzeuge, Rohstoffe und Fertigwaren dieser Handwerke gibt, sondern dass dies Lehnwörter aus jenen Sprachen und Kulturen sind, mit denen die Rom_nija auf ihren Wanderungen in Kontakt kamen (persische, armenische, slawische Sprachen).

Woher kommen nun diese "traditionellen" Berufe? Vielen "traditionellen" Handwerkszweigen ist gemein, dass die Rohstoffe entweder kostenlos erhältlich waren, oder dass alte Produkte recycelt wurden. Siebe wurden aus Pferdehaar hergestellt, Körbe aus Weiden, die wild wuchsen.

06-4-5 2Die Schmiede verarbeiteten oft alte Eisenprodukte, die der Auftraggeber zur Verfügung stellte, oder die man im Tausch für Dienstleistungen erworben hatte (unter anderem die Nägelschmiede).

Die traditionellen Berufe stellen daher keine kulturelle "Eigenart" dar, wie so oft angenommen, sondern sind aus rein wirtschaftlichen Zwängen entstanden.

Die Handwerke waren keine offiziell anerkannten Handwerke, das heißt die Roma gehörten keiner Zunft an (allein in Süditalien gab es eine Zunft der Romaschmiede), sie hatten keine vorgeschriebene Ausbildung (Lehrzeit, Gesellenprüfung) und keine Dokumente. Das Wissen wurde in der Familie, in der Gruppe weiter gegeben. Die Handwerker mussten kreativ und Universalisten sein, sie mussten neue Marktlücken erkennen, um überleben zu können. In den Familien gab es daher oft verschiedene Handwerker und Spezialisten.

Allen Handwerken ist gemein, dass sie von der Mehrheitsgesellschaft nicht anerkannt waren. Schmiedeprodukte der Roma waren im täglichen Gebrauch zwar geschätzt, hatten aber nicht die gesellschaftliche Anerkennung wie jene vom Gadsche-Schmied. Dies war Teil der sozialen Marginalisierung.

 

Schmied

06-4-5-1 1Vor allem in Kriegszeiten wurden Rom_nija wegen ihrer Kenntnisse der Metallverarbeitung und Waffenherstellung geschätzt, deshalb wurden sie in den Herrschaften aufgenommen und in den Dienst der Adeligen gestellt.

Das Schmiedehandwerk bot Romafamilien eine Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu sichern. Werkzeuge und Gegenstände aus Eisen hatten in den vergangenen Jahrhunderten einen großen Wert für die bäuerlichen Haushalte.

Kaiserin Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. versuchten das Schmiedehandwerk der Rom_nija mehrmals einzuschränken.

  

Die Produkte der Romaschmiede

06-4-5-1 2In der Zwischenkriegszeit waren in vielen Orten des Burgenlandes oft zwei Schmiede tätig. Während der Ortsschmied Pferde beschlug und neue landwirtschaftliche Geräte anfertigte, produzierte der Schmied der Rom_nija Kleineisenzeug und reparierte Gegenstände.

Er stellte Kuh- und Wagenketten her, Feuerzangen, Sensen, Äxte und Mistgabeln, Bohrer, Haushaltsgegenstände (Schürhacken, Wiegemesser, Pfannenfüße, etc.) und Fleischerbeile für die Schweineschlachtung. Er fertigte auch Eggen und Heurechen, sowie Türbeschläge und Fallen. Oft brachten die Bauern das Eisen (Roheisen oder Alteisen) selbst zum Romaschmied mit. Er betrieb eine Recyclingwirtschaft, da Eisenkleinzeug oft aus Alteisenprodukten06-4-5-1 3 hergestellt wurde.

Manche Schmiede der Rom_nija hatten sich auf die Herstellung von Nägeln spezialisiert, die gerne beim Hausbau und von Zimmerern verwendet wurden.

Die Schmiede hatten oft eine eigene Werkstatt, manche von ihnen gingen auch zu den Bauern, um an Ort und Stelle die Aufträge auszuführen.

Durch die Ermordung tausender Rom_nija in der NS-Zeit wird dieses Schmiedehandwerk im Burgenland nicht mehr ausgeführt. Einige Romaschmiede, die den Holocaust überlebten, kehrten in ihre Dörfer zurück, ihre Häuser und Werkstätten waren zum Großteil zerstört.

In den 1980er Jahren arbeitete der letzte Schmied Nikolaus Horvath in Kleinpetersdorf.

 

Messererzeuger

06-4-5-1 4Manche Handwerker hatten sich auf die Erzeugung von Messern spezialisiert. Das Ausgangsprodukt war eine kaputte Sense oder ein Sägeblatt. Diese erhielten sie von den Bauern, als Gegenleistung gab man ein fertiges Messer.

Das Sensenblatt wurde bis zur Rotglut erhitzt, in die gewünschte Form gehämmert und gefeilt. Anschließend wurde ein aus Holz oder Rinderhorn geschnitzter Griff angebracht. Abschließend wurde das Messer am Schleifstein geschärft.

Zu Beginn der 1980er Jahre wurden noch von Herrn Biresch aus Kleinbachselten Messer mit dieser Methode angefertigt.

 

 

Rastelbinder

Während die Romaschmiede das glühende Metall verarbeiteten, bearbeiteten die Rastelbinder Eisen und Blech in kaltem Zustand (durch Hämmern, Schneiden, Löten, Stanzen, etc.). Rastel ist eigentlich ein Drahtgestell zum Abstellen des heißen Bügeleisens. Die Rastelbinder fertigten verschiedene Drahtgeflechte für den Haushalt, löteten und nieteten kaputtes Kochgeschirr und stellten neue Produkte wie Kübel, Pfannen und Backbleche her.

Besonderes Geschick brauchte man für die Reparatur von gebrochenen Tongefäßen. Diese Handwerker verstanden es, zerbrochene Tonkrügen zusammenzusetzen und mit einem Mantel aus Drahtgeflecht zu überziehen, so dass die Gefäße wieder wasserdicht waren.

Nach dem Holocaust wurde dieser Beruf nicht mehr aufgegriffen. Die Überlebenden des Holocaust waren manchmal weiterhin in der Metallverarbeitung als Spengler tätig.


 

 

Scherenschleifer

Als 1927 alle Rom_nija des Burgenlandes polizeilich erfasst wurden, waren 27 als Scherenschleifer tätig. Sie waren vor allem im Südburgenland ansässig und hatten dafür eine gewerbliche Lizenz.

Die Scherenschleifer schliffen neben Scheren auch Messer, Krauthobel, Rübenmesser und viele andere Schneidegeräte im Haushalt.

Die Handwerker stellten ihre Schleifapparate selbst her. Der Schleifstein war auf einer Art Schubkarren befestigt, so wanderten die Männer - oft auch die ganze Familie - in den Sommermonaten von Ort zu Ort und boten ihre Dienste an. Die Frauen der Scherenschleifer reparierten auch Regenschirme.

 

 

Musiker, Tänzer, Schausteller und Zirkusleute

Als Musiker, Tänzer, Schausteller und Zirkusleute, Bärenführer, Puppenspieler und Handleser sind die Roma in der Geschichte der europäischen Unterhaltungskultur nicht wegzudenken.

Schon im 16. Jahrhundert waren Rom_nija beliebte Musiker an den europäischen Adelshöfen, die einen Kunstgenuss von der fernen Welt brachten. Bei den ersten Romagruppen, die nach Mitteleuropa wanderten, sind diese Berufssparten erwähnt und oft wurde auch hier wieder ein kulturelles Erbe aus Indien angenommen.

Allerdings gab es bereits in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten in Westasien wandernde Bettelmönche der syrisch-orthodoxen Kirche. Durch ihr Bekenntnis zur Armut und in ihrer Entsagung von jeglichen irdischen Genüssen waren sie nahe bei Gott. Dies war auch Vorbild für anderen Religionen (im Katholizismus, wie auch für die Derwische im Islam). Diese Mönche wurden von der sesshaften Bevölkerung geachtet, stellten in ihrem Auftreten jedoch einen gewissen Unterhaltungswert dar, der in den nachfolgenden Jahrhunderten bewusst gepflegt wurde (Musik, Narreteien, Zukunftsvisionen). Man könnte annehmen, dass Roma mit dieser Tradition in Westasien bekannt wurden und das dies eine Möglichkeit war, als wandernde Gemeinschaft eine gesellschaftliche Anerkennung zu finden. In den einzelnen Ländern war der Unterhaltungssektor oft die einzige Möglichkeit sich als nichtsesshafte Gruppe den Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Gewerbe waren von der Mehrheitsgesellschaft verpönt, u.a. weil sie keine finanzielle Sicherheit boten.

 

 

Der Unterhaltungssektor

06-4-10-1 1In jedem osmanischen Heer gab es eine Musikkapelle. Die Musiker sollten mit ihren Schalmeien und Trommeln den Feind erschrecken, ihn in die Flucht schlagen und auch die eigenen Krieger anfeuern. Diese Einrichtung wurde von den europäischen Heeren übernommen und so06-4-10-1 2 stellen diese Musikgruppen die Vorläufer unserer heutigen Blasmusik dar.

Es wird angenommen, dass in den osmanischen Heeren Roma als Waffenschmiede, aber auch als Musiker tätig waren.

Bei den ungarischen Magnaten waren diese Militärmusiker eine beliebte "Kriegsbeute", die Musik war an den Höfen überaus beliebt und geschätzt. Im 16. Jahrhundert hatte Balthasar Batthyány von Güssing eine eigene Musikkapelle, die sich aus türkischen Kriegsgefangenen und "Pharaones" (eine Bezeichnung für Roma angelehnt an "Ägypter") zusammensetzte. 
Die Musik muss schon aufgrund der instrumentalen Zusammensetzung - Geigen, Zimbal, Dudelsack, Trompete, Trommel, Laute - eine besondere Attraktion gewesen sein. Diese Kapellen stellten die seltene Möglichkeit in jener Zeit dar, außereuropäische Musik und unbekannte Weisen zu hören.

Romamusiker waren auch in den nachfolgenden Jahrhunderten an den ungarischen Adelshäusern sehr beliebt. Man kann daher annehmen, dass dies eine wesentliche Vorbildfunktion für die bäuerliche Bevölkerung hatte. Ab dem 18. Jahrhundert war die Musik der Roma auch für breitere Bevölkerungsschichten zugänglich. Die Betätigung im Unterhaltungssektor - in der Musik, wie auch in der Schaustellerei - war einer der wenigen Bereiche, den man den Rom_nija zugestanden hatte.

Kapellen - Bandas

Anfang des 20. Jahrhunderts schlossen sich Musiker zu Kapellen, so genannte "Bandas" zusammen. Sie spielten bei diversen festlichen Anlässen der Nicht-Rom_nija und versuchten so ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Um auch in anderen Orten auftreten zu können, brauchten die Musiker von den Behörden ausgestellte Lizenzen - Gelegenheitsmusiker durften nicht öffentlich auftreten. 
Kapellen, die nur aus Streichern bestanden, waren selten, meist wurden sie von einer Knopfharmonika begleitet. In manchen Orten, wie z.B. in Stegersbach, gab es zwei Kapellen - eine besetzt mit Streichinstrumenten und eine mit Blechblasinstrumenten. 
Die Kapellen wurden für Tanzveranstaltungen, Hochzeiten, Dorfveranstaltungen und Faschingsumzüge engagiert. Meist waren sie billiger als die bäuerliche Musikkapelle, und man nutzte ihre finanzielle Notlage aus und feilschte um den Preis.

Zu bestimmten Feiertagen (Neujahr, in der Weihnachtsnacht und am Josefitag) gingen sie von Haus zu Haus und überbrachten den Bewohnern einen musikalischen Gruß.

In vielen Orten des Burgenlandes waren die Romamusiker nicht vom Unterhaltungssektor wegzudenken.

1938 wurde den Rom_nija per Gesetz das Musizieren verboten. Alle ausgestellten Lizenzen für Kapellen und Alleinunterhalter wurden eingezogen. 
Dies trug u.a. zum Klima der zunehmenden Romafeindlichkeit bei und bildete mit anderen Verboten den Beginn der Verfolgung und Vernichtung in der NS-Zeit.

 

 

 

Der Musiker Eduard Babits aus Güssing

"Eduard Babits, alias "Zigeuner-Edi", hat allezeit der edlen Musica, einer der schönsten und herrlichsten Gaben Gottes, gehuldigt und Zeit seines Lebens die Herzen seiner Mitmenschen durch das Spiel der Ziehharmonika oder den Saitenklang entzückt und erfreut. Obwohl in Neustift, hart an der Hottergrenze gegen Güssing, wohnhaft, gehörte er zum Erscheinungsbild der Gemeinde Güssing; er galt hier schlechthin als unumstrittene Symbolfigur der beliebten Zigeunermusik. Ihm, einem Menschen arischer Zunge, wurde seine Abstammung von den "dunklen Söhnen des Waldes" zum Verhängnis. Der Rassenwahn des Nationalsozialismus fand kein Bescheiden und kannte keine Grenzen.

Eine amtliche Meldung vom 26. Juni 1939 besagt: "Der Großteil der Zigeuner des ehemaligen Burgenlandes wurde, soweit sie arbeitsscheu sind, eingezogen und der Kripo in Graz überstellt, wo sie in Arbeitslager eingewiesen wurden. Im Stationsbereich (Postenrayon Güssing) wurden zehn Zigeuner in diese Aktion einbezogen." Diesem ersten "Kontingent der Verdammten" gehörte Eduard Babits nicht an. Am 24. September 1939 wird von einer "Zigeunerevidenz" berichtet. Ohne Zweifel erfolgten weitere Deportationen. Die aus der Gefangenschaft nach dem Zweiten Weltkriege zurückgekehrte Gattin des "Zigeuner-Edi" berichtete, dass ihr Gatte in der Gaskammer eines NS Konzentrationslagers eines qualvollen Todes sterben musste. Angeblich erfüllten ihm die NS-Schergen den Wunsch, mit seiner Ziehharmonika in die Todeskammer schreiten zu dürfen."

Quelle: P. Hajszànyi: Bilder-Chronik der Stadt Güssing, S. 344

 

 

Berufe der Romnija

 

06-4-9 1Romnija mit speziellen Kenntnissen in der Heilkunst versorgten die Bäuerinnen mit besonderen Heilkräutern. Manchmal waren sie als Heilerinnen nicht nur geschätzt, sondern auch gefürchtet.

Ihre Kenntnisse in der Wahrsagekunst - im Kartenlegen, Handlesen, etc. - hatten, ob man nun daran glaubt oder nicht, eine besondere psychosoziale Bedeutung in der dörflichen Gemeinschaft. 
Bäuerinnen, die ihre Sorgen und Probleme nicht mit jemanden teilen wollten, aus Angst, dass es im Dorf bekannt würde, vertrauten sich in ihren Notlagen oft einer Romni an. Bei ihr waren sie sicher, dass die Probleme nicht zum Dorftratsch werden oder die Kenntnisse sich anderweitig zum Nachteil auswirken konnten.06-4-9 2

 

Sammeltätigkeiten

Als Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. Gesetze zur Zwangsansiedelung erließen, mussten die Gemeinden den Rom_nija Grund für den Hausbau zur Verfügung stellen. Bereitstellung von Boden zur Bewirtschaftung war zwar teilweise auch vorgesehen, dies wurde jedoch kaum durchgeführt. Die Siedlungen standen meist in unwegsamen Gelände, das kaum Möglichkeit für die Anlegung eines Küchengartens bot.

Im Rahmen dieser Ansiedelungspolitik hat man sich keine Gedanken darüber gemacht, wovon die Rom_nija leben sollten, ganz im Gegenteil, man schränkte die wenigen Möglichkeiten - wie Schmiedehandwerk, Pferdehandel, Wanderhandwerk - immer wieder ein.

So waren die Rom_nija gezwungen, neben Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten, jede mögliche Einnahmensquelle auszuschöpfen. Vor allem das Sammeln von Waldfrüchten, Pilzen und Schnecken, wie auch das Fischen von Flusskrebsen bot eine Möglichkeit, in der warmen Jahreszeit ein wenig Geld zu verdienen. Pilze, Beeren und Schnecken wurden meist an Händler, selten am Markt verkauft.

Manche Frauen wussten über die Heilwirkung bestimmter Pflanzen, Kräuter und tierischer Produkte Bescheid. Das Sammeln und die Weitergabe der Produkte und des Wissens an Nicht-Rom_nija war für die Frauen eine weitere bescheidene Einnahmequelle. Diese Dienste wurden jedoch kaum in Geld, sondern meist in Naturalien abgegolten.

Ein Wirtschaftszweig, den man den Rom_nija überließ, war das Sammeln von Altmaterialien. Alteisen und Alttextilien wurden an Großhändler weiterverkauft, manche Abfallprodukte wurden zu neuen Waren wiederverwertet. So wurden etwa aus alten Autoreifen Fußabstreifer hergestellt.

Im zunehmend feindlichen Klima der 1930er Jahre wurden auch diese Tätigkeiten immer weiter eingeschränkt und erschwert.