• Geschichte

Die Rom_nija in der 1. Republik

1921 Grenzziehung und Bedeutung für die Rom_nija

Im Vertrag von Saint-Germain wurde Österreich das Gebiet Westungarns, das heutige Burgenland, zugesprochen. Ausschlaggebend für diese Angliederung war unter anderem die Marktbeziehungen zwischen Wien und den kleinbäuerlich strukturierten südlichen Landesteilen. Die ehemaligen westungarischen Komitate Ödenburg, Wieselburg und Eisenburg waren von großer ernährungswirtschaftlicher Bedeutung

"und insbesondere für die Stadt Wien zur Lebensmittelversorgung unentbehrlich",

wie in der Staatserklärung der Republik "Deutsch - Österreich" vom 22.11.1918 angeführt wurde.

Sehr bald musste man jedoch feststellen, dass die Produktionsergebnisse der burgenländischen Landwirtschaft weit hinter den Erwartungen zurückblieben. Es sollte eine rasche Anpassung an die in Österreich bestehenden Strukturen erfolgen, was dazu führte, dass die Anzahl der Arbeitslosen und Tagelöhner und damit die sozialen Spannungen ständig zunahmen.

 

Die Auswirkung der Grenzziehung

Die Burgenland-Rom_nija, die in wenigen Jahren von einer österreichisch-ungarischen über eine ungarische zu einer österreichischen Minderheit wurden, waren von

Rationalisierungsmaßnahmen am stärksten betroffen. Infolge von Neuzuwanderung war die Anzahl der Burgenland-Rom_nija in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stark gestiegen. Ihrer Lebensgrundlage als zum Teil wandernde Handwerker (Störhandwerk), Musiker und Händler beraubt und als Gelegenheitsarbeiter an den untersten Rand der sozialen Hierarchie gedrängt, sahen sich die Burgenlandroma mit vollkommen veränderten Rahmenbedingungen konfrontiert. Konnte man keinen Tauf- oder Geburtsschein einer österreichischen Gemeinde vorweisen, hatten gültige ungarische Reisepässe ab nun Schubhaft und die Abschiebung aus Österreich zur Folge. Zudem wurde 1924 ein "Festsetzungserlass" beschlossen, der die Burgenland-Rom_nija am Verlassen ihrer Dörfer hinderte und die Ausübung des ohnehin kaum mehr möglichen Wandergewerbes endgültig unterband.

 

Armut und Arbeitslosigkeit

Die seit Jahrhunderten gepflegten wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zu den Nachbarstaaten - und insbesondere zu Ungarn - konnten nicht weiter aufrecht erhalten werden. Damit wurde die traditionelle Soziostruktur der Burgenland-Rom_nija, die auf einem weit verzweigten Verwandtschaftssystem beruht hatte, zunehmend in Frage gestellt. Die Großfamilie, die gerade in Zeiten wirtschaftlicher Not als soziales Auffangnetz diente und die staatliche Sozialfürsorge ersetzte, verlor ihre Wirkung. Die Burgenland-Rom_nija wurden zum Spielball wirtschaftlicher und politischer Interessen. Die Stimmung im Land wurde mehr und mehr von einem antimagyarischen Deutschnationalismus geprägt. Nachbarschaftliche Solidarität zwischen Gadsche und Rom_nija wurde immer seltener. Gleichzeitig nahmen aufgrund der einsetzenden Weltwirtschaftskrise Armut und Arbeitslosigkeit in immer größerem Ausmaß zu.

 

 

„Zigeunerschule“ in Stegersbach

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1927 lebten 156 Rom_nija in der Marktgemeinde Stegersbach.

Ab 1921, nachdem das Burgenland zu Österreich gekommen war, wurden alle schulischen Belange hauptsächlich von den Kirchen betreut. Daher war es möglich, dass in einzelnen Schulen im Burgenland Kroatisch oder Ungarisch als Unterrichtssprache galt und Deutsch 01-5-3 2als Unterrichtsfach unterrichtet wurde(1).

In Stegersbach entwickelte sich ab den späten 1920er Jahren eine Schule für Rom_nija. Ihre Entstehung hatte mit dem Minderheitenschulwesen nach heutigem Verständnis aber nichts zu tun. Erschreckend ist, wie rassistisch und diskriminierend die Maßnahmen für den Schulbesuch der Rom_nija waren. Vor 1921 konnten nur wenige Rom_nija die Schule besuchen, daher ordnete die burgenländische Landesregierung 1924 die Einschulung der Romakinder an. 1924/25 besuchten ungefähr 40 Romakinder zusammen mit den kroatisch- und deutschsprachigen Kindern die Volksschule in Stegersbach. Viele Nicht-Roma Eltern protestierten gegen den gemeinsamen Schulbesuch. Daher wurde eine eigene "Zigeuner-Klasse" eingerichtet, wie auch in Oberwart, Holzschlag und Schreibersdorf. Bald wurde diese Klasse nicht mehr in der Volksschule untergebracht, sondern ins Feuerwehrhaus ausgelagert. Viele Lehrer standen dieser Einrichtung sehr kritisch gegenüber. Andere Lehrer sprachen den Kindern sogar das "Mensch-sein" ab und meinten befürwortend zum Schulbesuch "dass aus den Zigeunerkindern in unserer Gesellschaft ganz anständige, brave und fleißige Mitglieder der Gesellschaft werden .... Man hat nämlich vergessen, dass zuerst getrachtet werden muss, die Zigeuner zu Mensc01-5-3 3hen zu machen, wenn sie noch kleiner sind." 1930 wurde die alte Schule im Gemeindehaus adaptiert und die "Zigeunerschule", als einklassige Schule mit einem Lehrer, eröffnet. Im Burgenland sollten weitere solche Schulen eingerichtet werden, deshalb arbeitete man einen eigenen Lehrplan aus. Dabei stand nicht die Förderung und Integration im Vordergrund, sondern die Umerziehung zu billigen und willigen Hilfsarbeitern. Nicht Lesen und Schreiben wurden intensiv unterrichtet, sondern praxisrelevante Fächer. In allen Lehrgegenständen kam die diskriminierende Einstellung gegenüber den Kindern zu Tage. Auf dem Lehrplan stand auch der Unterricht in Romanes, jedoch gab es weder sprachkundige Lehrer noch Unterrichtsmaterialien. Weitere "Zigeunerschulen" wurden im südlichen Burgenland geplant, die jedoch aufgrund von Finanzierungsproblemen nicht realisiert wurden. In Oberwart und in Stegersbach wollte man Heime für die Kinder einrichten und sie von den Eltern getrennt erziehen. Die Auflösung der "Zigeunerschule" erfolgte 1938.

Offiziell geht dies aus einer Weisung des NS-Landeshauptmannes Portschy hervor, der anordnete, dass "Zigeunerkinder nicht mehr eingeschult werden dürfen". Portschy war einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der burgenländischen Rom_nija. Er hat das Vorgehen gegen die burgenländischen Rom_nija 1938 in der Schrift "Die Zigeunerfrage" dargelegt.

 

 

 

 

Diskriminierung und Verfolgung in der Zwischenkriegszeit

Die Zeit ab 1921 war dadurch geprägt, dass unsere Region im selben Jahr von Ungarn zu Österreich kam und das Burgenland als österreichisches Bundesland gegründet wurde. Weiterhin spielte allerdings die angespannte und zeitweise katastrophale wirtschaftliche Entwicklung die zentrale Rolle im Leben der Burgenländer_innen. Vor allem mit der Weltwirtschaftskrise wurden viele Industrie- und Bauarbeiter arbeitslos und kehrten aus den Städten und Industriegebieten in ihre burgenländischen Heimatgemeinden zurück.

Das hat damit zu tun, dass sie hier das Heimatrecht hatten und die Gemeinden für die Sozialhilfe zuständig waren. Zudem konnten sie in den Landwirtschaften ihrer Verwandten mithelfen und hatten zumindest ein Dach über dem Kopf und etwas zum Essen. Sie übernahmen auch jene Tätigkeiten, die bis dahin von den hier ansässigen Rom_nija ausgeübt wurden, landwirtschaftliche Hilfstätigkeiten, Reparaturarbeiten usw., was dazu führte, dass die Rom_nija - wie fast überall im Burgenland - total verarmten. Das wiederum führte zu sozialen Konflikten, die in der Nazizeit in unvorstellbare Grausamkeit und Brutalität ausarteten.

Mit der Auflösung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und der 1921 erfolgten Angliederung des heutigen Burgenlandes an die Republik Österreich kam es auch zu grundlegenden Veränderungen für die hier lebenden ca. 5.000 - 7.000 Rom_nija. Neue Gesetze wurden erlassen (z.B.: der Festsetzungserlass von 1924, der unter anderem ein Verbot der Wandergewerbe mit sich brachte), die Polizei ging immer restriktiver gegen Rom_nija vor. Vor allem der Verlust der traditionellen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen führte zu einer zunehmenden Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Hinzu kam, dass die einsetzende Wirtschaftskrise im Burgenland, dem jüngsten und ärmsten österreichischen Bundesland, besonders schnell und massiv spürbar wurde. Immer mehr Menschen wurden arbeitslos und lebten am Rande des Existenzminimums.

Die Spannungen zwischen Rom_nija und Nicht-Roma verschärften sich kontinuierlich. Eine bereits seit Jahrhunderten auf Vorurteilen und Stereotypen basierende Haltung den Rom_nija gegenüber wurde von Politikern und der Regionalpresse erfolgreich geschürt und für deren Interessen benützt.

Man beschwor eine "Zigeunerplage" herauf und man gab den Rom_nija sowohl die Schuld an den tristen wirtschaftlichen Verhältnissen als auch an der zunehmenden Kriminalität. Die schwächste und ärmste Bevölkerungsgruppe wurde zum Sündenbock.

Die Stimmung jener Zeit geht aus einem in der "Burgenlandwacht" 1930 erschienenen Artikel hervor:

"Wer erinnert sich nicht an den so genannten Menschenfresserprozeß in Raschau, in dem erwiesen wurde, daß ganze Zigeunerbanden ihren ganzen Lebensunterhalt lediglich aus den Früchten verübter Morde, Raubüberfälle (...) fristeten, und wen überläuft nicht noch heute der Schauder, denkt er an den Kannibalismus, von dem in diesem Prozeß die Rede war (...) Es kommt einer Verrohung der Gesetze gleich, dem rohen verwilderten, für die Gesellschaft noch untauglichen Zigeuner, den gleichen Schutz der Gesellschaft zuteil werden zu lassen, wie dem zivilisierten Menschen (...)"

Wie diese Passage bereits vermuten lässt, kam es in weiterer Folge zu immer strengeren gesetzlichen Bestimmungen gegenüber den Burgenland-Rom_nija. Das Hauptaugenmerk richtete sich hierbei auf die Erweiterung und Zentralisierung der bereits Mitte der 1920er Jahre begonnenen kriminalpolizeilichen Erfassung in der sogenannten "Zigeunerkartothek".

 

Die Lebenssituation der burgenländischen Rom_nija in der 1. Republik

 

1921 kam das Burgenland als letztes Bundesland zu Österreich. Es war damals das ärmste Bundesland. Rom_nija hatten besonders unter der Armut zu leiden, hinzukam, dass die Gadsche (Nicht-Roma) ihnen mit Feindseligkeit begegneten und der Meinung waren, dass sie asozial, arbeitsscheu und kriminell seien. In den Zeitungen lief eine regelrechte Hetzkampagne gegen Rom_nija. Die Behörden und Politiker bezeichneten sie als "Zigeunerplage".
Ihre Vorschläge zur "Lösung des Problems" waren:

  • Einführung der Zwangsarbeit
  • Prügelstrafe
  • Aberkennung der Bürgerrechte
  • Wegnehmen aller Kinder unter zwei Jahren
  • Aussiedelung der Rom_nija auf eine einsame Insel

Von der Gendarmerie wurden die Siedlungen beobachtet und Berichte verfasst. Dabei handelte es sich um Beschreibungen zur Situation in den jeweiligen Gemeinden und um "Lösungsvorschläge" aus der Sicht der Polizei. Rom_nija sollte zum Beispiel der Besitz von Hunden verboten werden, sie sollten zur Arbeit gezwungen und noch stärker überwacht und kontrolliert werden. Ab Mitte der 1920er Jahre wurde von der Polizei eine "Zigeunerkartothek" angelegt, alle Rom_nija ab dem 14. Lebensjahr wurden mit Fingerabdrücken und Fotos amtlich erfasst. Auch regelmäßige Razzien gehörten zum Alltag in den Romasiedlungen.

 

 

 

Zigeunerkartothek

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Alle Rom_nija über 14 Jahre wurden kriminalpolizeilich erfasst. Die 1928 gegründete "Ausforschungsstelle für Roma" bediente

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sich dieser Datei und sorgte dafür, dass polizei- und gesetzliche Willkür im zunehmenden Ausmaß das Alltagsleben der Burgenlandrom_nija prägten. In Anlehnung an diese Datensammlung wurde 1935 eine österreichweite "Zentralevidenz" eingerichtet. Ausschlaggebend dafür war auch die Schlussresolution der 1933 in Oberwart stattgefundenen "Tagung zur Zigeunerfrage im Burgenland". Darin erhoben die Bürgermeister, Landtagsabgeordneten und Nationalräte des südlichen Burgenlandes unter anderem die Forderung nach einem "Sondergesetz für Zigeuner, mit welchem in erster Linie allen Zigeunern, die keinem geregelten Erwerb nachgehen, die staatsbürge rlichen Rechte aberkannt werden (sollen)". Zudem verlangten sie eine "Verschärfung der Strafen für Vagabundage (...). Bei Wiederholung (...) soll (...) an Stelle der Freiheitsstrafe Zwangsarbeit treten".

Quelle: Aus: Claudia Mayerhofer, Dorfzigeuner. Picus-Verlag Wien, 1988, S. 39

 

 

Anmerkung zum Zeitungsartikel: „Die Zigeunerfrage im Burgenland“

1930 veröffentlichte ein anonymer Autor und hoher Gendarmeriebeamter in der Zeitschrift "Burgenlandwacht" den zuvor erwähnten Artikel. Dieser Text belegt, dass der Rassismus gegen Rom_nija nicht erst 1938 einsetzte, sondern schon viel früher im Burgenland präsent war.

Dieses Schreiben ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie in den 1930er Jahren eine Pressehetze gegen Rom_nija veranstaltet wurde, und dass viele Gesetze gegen Rom_nija, die in der NS-Zeit realisiert wurden, bereits Anfang der 1930er Jahre diskutiert wurden.

Eingangs beschreibt der Autor die Lage der Rom_nija aus seiner Sicht, indem er versucht, die unglaublichsten Vorurteile mit Zahlen zu untermauern – er unterstellt den Rom_nija Kannibalismus, wobei er sich auf Prozessanschuldigungen beruft, die in jener Zeit längst widerlegt waren, weiters unterstellt er ihnen verschiedenste kriminelle Taten.

Im zweiten Teil des Artikels schlägt er die Schaffung eines Zigeunergesetzes vor, das 15 Punkte enthalten sollte. Neben massiven Einschränkungen der gewerblichen Bewilligungen (Pferdehandel, Musizieren) und somit der Lebensgrundlage, sollten alle geschäfts- und arbeitslosen wandernden Rom_nija wegen Landstreicherei angezeigt und in ein Zwangsarbeitslager gebracht werden. Die Gemeinden und Arbeits(nachweis)ämter sollten die Bewilligung erhalten, die Rom_nija in ihren Gemeinden zur Zwangsarbeit zu nötigen. Die Registrierung aller Rom_nija in Österreich, sowie die schon geführte Zigeunerevidenzstelle sollten ausgeweitet werden. Wo ein gemeinsamer Unterricht der Rom_nija und Nicht-Roma- Kinder schwierig war, sollten die Kinder getrennt unterrichtet werden und teilweise in Fürsorgeanstalten untergebracht werden.

Abschließend bezeichnet er die Rom_nija als eine Kulturschande, die das Burgenland von Ungarn übernommen hatte.

 

 

 

Wie Vorurteile gegen Burgenland-Rom*nja geschürt wurden

Gerhard Baumgartner ist Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und angesehener Historiker. Vor allem zu der Aufarbeitung der Geschichte der Burgenland-Rom*nja hat er einen immensen Beitrag geleistet. Im Gespräch erklärt er wie viele Vorurteile gegenüber der Volksgruppe entstanden sind.

Als das Burgenland 1921 zu Österreich kommt unterscheidet es sich wesentlich vom restlichen Teil des Landes, vor allem was die Homogenität betrifft. Das neue Bundesland ist im Vergleich zu den anderen vielfältig was die Sprache, die Kultur und die Bevölkerung betrifft. Zirka 20% der damaligen Bevölkerung sind Burgenland-Kroaten, es gibt jüdische Gemeinden und über 120 Roma-Siedlungen. Die Größte mit 300 Einwohnern im Bezirk Oberwart. All diese Umstände führen dazu, dass vor allem Journalisten oft und vor allem vorurteilsbeladen über das neue, exotische Burgenland und dessen Bevölkerung berichten, erklärt der Historiker Gerhard Baumgartner.

Über viele Jahrhunderte wurde vor allem in der Literatur die vermeintliche Freiheitsliebe und der Reisedrang der Rom*nja propagiert – entgegen der Realität in Zentraleuropa. Von den 8000 bis 9000 im 19. und 20. Jahrhundert im Burgenland lebenden Rom*nja sind 60% sesshaft, 30% saisonal sesshaft und nur 7% nicht-sesshaft beziehungsweise wandernd, diese kommen meist aus Rumänien. Im Norden siedeln sich vor allem Lovara Familien an, deren berühmteste Vertreter die Familie Stojka ist. Sie haben einen festen Winterwohnsitz und im Sommer sind sie auf Märkten unterwegs und betreiben Handel. Im Südburgenland sind die meisten Rom*nja sesshaft und in der Landwirtschaft als Erntearbeiter beschäftigt, so Baumgartner

Im 19. Jahrhundert werden immer wieder Zählungen durchgeführt und Ämter versuchen zu überprüfen inwieweit die „Integration“ der Rom*nja fortgeschritten ist. Diese werden namentlich erfasst und mit Kurzbeschreibungen versehen, viele sind Schmiede, Nagelschmiede oder Pferdehändler. Sie leisten Militärdienst, bekommen einen Grundbesitz und zahlen Steuern. Auch hier wird die Ambivalenz von Realität und Vorurteil deutlich: Denn den Rom*nja wird seit Jahrhunderten eine Scheu vor Arbeit und Pflicht nachgesagt. Im 20 Jahrhundert dann spitzte sich die Situation der Rom*nija zu, so der Historiker.

Durch Fotos konnten viele der zerstörten Romasiedlungen rekonstruiert werden und Rückschlüsse auf das Leben der Rom*nja in diesen gezogen werden. Für die zerstörten Häuser bekamen die Überlebenden des Nationalsozialismus nie eine Entschädigung, da sie in den meisten Fällen nicht nachweisen konnten, dass es sich um ihren Besitz handelte. Viele der Fotos, die Gerhard Baumgartner für seine Recherchen benutze, stammen von der Polizei. Das Landesarchiv Burgenland besitzt eine große Sammlung dieser Polizeifotos. Diese Fotos sollten vor allem eines suggerieren: Den Arbeitsaufwand den die Polizei mit Rom*nja hatte und nicht das tatsächliche, reale Leben dieser. Die Polizei beschäftigte sich vor allem deswegen mit Rom*nja weil diese Auseinandersetzung für die Polizisten einer Karriereleiter gleich kam, so Gerhard Baumgartner. In den 1920er Jahren wurde nämlich die Interpol gegründet und dort arbeitete man, für die damalige Zeit, mit den modernsten Mitteln: Fotografie, Fingerabdruck-Analyse und Vernetzung mit ausländischen Kollegen. Daher fotografierten viele Polizisten zahlreiche Roma-Familien im Burgenland, um zu dokumentieren und „Beweise“ und Anschauungsmaterial für Zeitschriften und Ausstellungen zu sammeln.

Es gibt aber auch andere Fotos, und zwar von privaten Personen. Im Burgenland war einer der bedeutendsten Fotografen Alfred Ruhmann. Der österreichische Papierfabrikant, Amateur-Entomologe und -Fotograf machte über eintausend Bilder in Romasiedlungen, die differenzierteres und vor allem authentischeres Leben der Rom*nja zeigten als die weitverbreiteten Polizeifotografien. All diese Fotos bildeten die Grundlage für die Forschungsarbeit der letzten Jahrzehnte. Sie zeigen auch welche Propaganda und welcher Verleumdung Rom*nija lange Zeit ausgesetzt waren und wie absichtlich ein falsches Bild kreiert wurde, dass sich bis heute in vielen Vorurteilen manifestiert hat.