Die Herkunft und Geschichte der Rom_nija und Sinti_zze lag lange Zeit im Dunkeln. Durch die Erforschung der Sprache der Rom_nija konnte man ihre Herkunft aus dem Nordwesten des indischen Subkontinents nachweisen.
Die Geschichte der Rom_nija zu schreiben ist schwierig, weil die Sprache „Romanes“ erst seit den letzten Jahrzehnten auf dem Weg zu einer Schriftsprache ist. Über die eigene Geschichte gibt es daher nur mündliche Überlieferungen in Romanes und in den Sprachen der anderen Völker. Schriftliche Aufzeichnungen, die jedoch immer nur von den Nicht-Roma stammen, gibt es in verschiedensten Sprachen. Deshalb sind die Berichte und Aufzeichnungen über Rom_nija und Sinti_zze immer aus der Sicht der Nicht-Roma geschrieben worden und diese waren sehr oft vorurteilsbehaftet. Erst seit dem 20. Jahrhundert schreiben Rom_nija und Sinti_zze ihre Geschichte in Romanes und anderen Sprachen.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat man begonnen, die mündlichen Erzählungen aufzunehmen und zu dokumentieren. Gerade weil das Romanes keine Schriftsprache war, ist die traditionelle Erzählkunst der Rom_nija und Sinti_zze ungemein vielfältig und kunstvoll.
Erzählungen über die eigene Herkunft spiegeln die Geschichte der Rom_nija und Sinti_zze in den einzelnen Ländern der Wanderungen wider, aber auch die Zuschreibungen von Nicht-Roma. So wurde lange Zeit fälschlich angenommen, dass die Rom_nija aus Ägypten stammen. Verschiedene Romagruppen lebten lange Zeit am Peloponnes, in einem Landstrich, der dort als Kleinägypten bezeichnet wurde. Als Romagruppen nach Europa kamen, sagten sie, dass sie aus Kleinägypten stammten. So entstand das Missverständnis, die Rom_nija seien mit den Ägyptern verwandt. Diese Annahme hat sich auch in den Sagen und Erzählungen der Rom_nija niedergeschlagen. Um die Herkunft aus Ägypten, verbunden mit den Darstellungen aus dem Alten Testament über den Auszug der Juden aus Ägypten, sind mehrere Erzählungen entstanden.
Rom_nija und Luri
Als mögliche Verwandte oder Vorfahren der Rom_nija werden manchmal die Luri/Luren dargestellt. Diese sollen um 500 n.Chr. von einem persischen Herrscher aus Indien geholt worden sein. Persische und arabische Schriftsteller berichten im 11. Jahrhundert über dieses Ereignis.
"Der König der Sassaniden Bahram Gur (420-438) schrieb einem indischen König und ersuchte ihn, 10.000 Luri-Musiker zu schicken. Mit ihnen wollte er den Armen seines Landes eine Freude bereiten - so die Überlieferung. Nachdem die Musiker eingetroffen waren, erhielten sie jeder einen Ochsen, einen Esel und Getreide. Sie aßen das Getreide und schlachteten die Tiere und kehrten nach einem Jahr zum König zurück. Dieser zürnte ihnen und schickte sie mit ihren Eseln und Musikinstrumenten in die Verbannung."
Auch heute leben verschiedene Gruppen der Luren im Iran. Viele davon sind halbnomadische Viehzüchter. Eine Verwandtschaft der Rom_nija mit den Luri ist allerdings nicht gesichert. Europäische Forscher haben immer wieder versucht, Verwandtschaften mit anderen nomadischen Gruppen herzustellen, bzw. haben oft verschiedene Nomaden als "Zigeuner" bezeichnet, obwohl nach intensiven Nachforschungen keinerlei Verbindungen nachgewiesen werden können.
So wurde in der Wissenschaft und in der Gesellschaft ein Bild von "Zigeunern" geschaffen, das nicht der Realität der Rom_nija und Sinti_zze entspricht. Aufgrund dieses Bildes (Menschen, die am unteren Rand der Gesellschaft leben, nomadisierende Handwerker und Händler) wurden eine Reihe von Ethnien (Völker) als "Zigeuner" bezeichnet, die aber keine kulturelle oder sprachliche Verwandtschaft mit den Rom_nija oder Sinti_zze haben.
Wanderungen der Rom_nija und Sinti_zze
Die Vorfahren der Rom_nija und Sinti_zze haben den Nordwesten Indiens in den Jahrhunderten vor 1300 verlassen. Sie wanderten in kleinen Gruppen und zu verschiedenen Zeiten westwärts. Es gab unterschiedliche Auswanderungsgründe, etwa ökonomische und soziale Gründe, klimatische Katastrophen, aber auch politische und religiöse Konflikte. Die Menschen haben sich auf ihren Wanderungen längere Zeit – oft auch über mehrere Generationen – im Iran, in Armenien und im Byzantinischen Reich aufgehalten.
Phasen der Migration
Die erste Phase der Wanderungen aus Indien nach Westen erfolgte wahrscheinlich schon zu Beginn des 3. Jahrhunderts und dauerte bis in das 7. Jahrhundert.
Unter der Herrschaft der Sassaniden in Persien (220-650) dehnten die Jat (=Zott) – die von der Büffelzucht lebten – ihr Migrationsgebiet auf die indisch-persische Grenzregion aus. Manche Forscher sehen eine Verwandtschaft zwischen den Jat(=Zott) und den Vorfahren der Rom_nija und Sinti_zze.
Die zweite große Phase der Wanderungen (7.-10. Jahrhundert) wurde durch die islamischen Eroberungen der Region Sindh ausgelöst. Die Araber nahmen eine große Zahl von Menschen gefangen, darunter auch viele Jat, und deportierten sie in die arabischen Länder. Daher flüchteten auch weitere Gruppen aus Indien in den Iran und nach Armenien.
Der dritte bedeutende Migrationszeitraum waren das 11. und 12. Jahrhundert, als die Ghaznaviden (Herrscherdynastie) ihr islamisches Reich bis nach Nordindien ausdehnten. Die Bevölkerung geriet in Sklaverei, viele wurden westwärts in den Iran vertrieben. Nach dem Niedergang des Reiches wanderten viele Vorfahren der Rom_nija und Sinti_zze weiter westwärts nach Kleinasien, d.h. in das Byzantinische Reich.
Viele Bewohner Nordindiens wurden Opfer der mongolischen Eroberungen im 13. Jahrhundert. Ethnien (Völker) wurden in die angrenzenden westlichen Gebiete vertrieben.
Erst durch die Geschichtsschreibung im Iran, in Afghanistan und in Indien zu jener Zeit wird die Geschichte der Rom_nija und Sinti_zze teilweise nachvollziehbar. Eine Zuordnung zu heutigen Ethnien (Völkern) in Indien ist nicht möglich. Die Selbstbezeichnungen „Rom_nija und Sinti_zze“ geben Hinweise auf die Herkunft. Im Mahabarata, einem indischen Epos, das zwischen 400 v. und 700 n.Chr. entstand, wird ein Volk der "Romakah" erwähnt. Sinti_zze könnte eine Ableitung aus der Region Sindh im Nordwesten Indiens sein.
Rom_nija und Sinti_zze im Iran
In Zusammenhang mit der islamischen Eroberung von Persien und Indien zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert kamen bereits Rom_nija und Sinti_zze in dieses Gebiet. Mahmud von Ghazna, der bekannteste Herrscher der Dynastie der Ghaznaviden, erweiterte sein Fürstentum zum bedeutendsten Reich im Osten der islamischen Welt. Er übernahm in Chorassan (Afghanistan) die Macht, überfiel mehrmals Indien und gliederte den Sindh in sein Reich ein. Dadurch flüchteten viele Menschen westwärts.
Zu jener Zeit gab es im Iran kein einheitliches Herrschaftsgebiet, mehrere Dynastien bestanden nebeneinander. Da es in der Sprache der Rom_nija und Sinti_zze viele persische Lehnwörter gibt, kann man davon ausgehen, dass Romagruppen oft mehrere Generationen lang im Iran lebten. Einzelne Gruppen sind weiter vom Nordosten des Iran in das angrenzende Armenien gewandert. In manchen Dialekten des Romanes gibt es armenische Lehnwörter.
Rom_nija im Byzantinischen Reich
Als Rom_nija und Sinti_zze durch Kleinasien wanderten und so das Tor nach Europa erreichten, schlossen sich die Wege nach Indien. Durch die Entstehung neuer Reiche und das Abreißen alter Handelswege zwischen West und Ost waren nur mehr Wege westwärts möglich. Mit dem Eintreffen im Byzantinischen Reich gibt es vermehrt historische Dokumente über Rom_nija und Sinti_zze. Wahrscheinlich haben bereits im 11. Jahrhundert erste Romagruppen byzantinische Gebiete erreicht. In Konstantinopel gibt es seit dem späten 13. Jahrhundert Dokumente über den Aufenthalt von Rom_nija und Sinti_zze. 1322 werden Rom_nija und Sinti_zze als Zeltbewohner in Kreta dokumentiert, und bereits 1346 sind sie als Vasallen auf Korfu belegt. Mehrere Berichte gibt es über Rom_nija und Sinti_zze, die in Modon lebten, einer Hafenstadt am Peloponnes, die in jener Zeit ein wichtiger Stützpunkt für Pilgerreisen in das Heilige Land war.
Alexander Pfalzgraf bei Rhein schrieb 1495:
"Modon ist eine fast starcke Stadt/ nicht sehr hübsch/ ist ein Bistumb/ und sind zu Modon viele Juden und Griechen/ und wenig Christen letz/ und neben Modon ligt ein Berg genannt Gype/ und seind vol bey 200 Heußlin/ oder Hütten/ da ligen die Egyptianer genant Heyden und etlich letz heissen dieselben Berg mit ihrer zugehörde/ klein Egypten."
Aus den Reiseberichten geht hervor, dass es damals schon unterschiedliche Gruppen gab (sesshafte und wandernde Gruppen, die von Landwirtschaft oder vom Handwerk lebten). Im Byzantinischen Reich kamen Rom_nija und Sinti_zze erstmals mit dem Christentum in Berührung. In religiösen Schriften werden sie als "athinganoi" bezeichnet, griechisch: die "Unberührbaren". Sie wurden mit einer in Griechenland beheimateten Sekte gleichgesetzt, der Name der Sekte wurde auf sie übertragen. "Athinganoi" oder "Adsingani" gilt als wahrscheinlicher Ursprung für die Bezeichnung "Zigeuner" (bulgarisch: Acigan, rumänisch: tigan, polnisch: Cigan, russisch: Cygan)
Rom_nija im Osmanischen Reich
Turkvölker aus Zentralasien zogen gegen Westen, eroberten nach und nach Kleinasien und schufen eigene Reiche. Das letzte und bedeutendste war das Osmanische Reich (seit 1288), das in den folgenden Jahrhunderten sein Herrschaftsgebiet auf den Balkan und Teile Osteuropas ausdehnte und bis 1918 bestand. Aus Teilen des Osmanischen Reiches wurde die Türkei gegründet. Im Osmanischen Reich lebten verschiedene Religionsgruppen und Ethnien. Jede Religionsgemeinschaft hatte ein gewisses Maß an Freiheit und konnte sich selbst verwalten. Die größte Religionsgruppe waren die Moslems, weiters gab es Juden und Christen. Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie (Volksgruppe) spielte kaum eine Rolle. Eine Ausnahme wurde aber bei den Rom_nija und Sinti_zze gemacht. Die Rom_nija und Sinti_zze konnten sich in manchen Teilen des Reiches ab dem 16. Jahrhundert selbst verwalten. Sie hatten aber kein eigenes Territorium. Jeder Verwaltungseinheit stand ein Oberhaupt der Rom_nija und Sinti_zze vor, das darüber wachte, dass die muslimischen und nichtmuslimischen Rom_nija und Sinti_zze ihre Steuern zahlten und Gesetze einhielten. Rom_nija und Sinti_zze waren im osmanischen Heer beschäftigt, arbeiteten als Handwerker und im Bergbau. Manche von ihnen hatten keinen festen Wohnsitz, waren Nomaden. Sesshafte wohnten in großen Städten und auch auf dem Land. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurden Gesetze über die Selbstverwaltung der Rom_nija und Sinti_zze oft verändert, vor allem wollte man sie dazu bringen, sich anzusiedeln und den islamischen Glauben anzunehmen. Da es im Osmanischen Reich viele Ethnien gab, die Nomaden waren, unterschiedlichste Lebensweisen und Sprachen hatten, waren Vorurteile und Verfolgungen nie so ausgeprägt wie in europäischen Ländern. Durch die osmanischen Geschichtsdokumente können wir heute die Geschichte der Rom_nija und Sinti_zze in Albanien, Bulgarien, dem ehemaligen Jugoslawien und Griechenland - alles Länder, die einmal zum Osmanischen Reich gehörten – nachvollziehen.