Matéo Maximoff
Die Ursitory
Der Autor Matéo Maximoff wurde 1917 in Barcelona geboren, lebte dann aber in Frankreich. Maximoff gilt als erster Schriftsteller (lt. Klapptext Die Ursitory) der französischen Rom_nija. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden Rom_nija in Frankreich als Spione der Deutschen diffamiert. Matéo Maximoff und seine Familie wurden bei dem Versuch zu flüchten verhaftet und in ein Arbeitslager gesperrt, in welchem sie zwei Jahre gefangen gehalten wurden. Als einer der ersten Roma klagte er nach dem Krieg sein Recht auf Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus ein. Erst 14 Jahre später gab ihm ein deutsches Gericht Recht.
Sein erster Roman Les Ursitory erschien 1946 und war in Frankreich ein Erfolg. Es handelt sich hierbei um eine zauberhafte, mystische Geschichte. Themen wie Schicksal, Stammesrivalitäten, Rituale, Zauberei, Wahrsagerei usw. kommen in diesem Roman immer wieder vor. Viele dieser Motive erhärten altbekannte Stereotype, von denen schon Nicht-Roma-Autoren und -Autorinnen Gebrauch machten. Laut Klapptext entstand das Werk, als Matéo Maximoff vor Gericht stand, weil zwei verfeindete Familien eine Fehde austrugen. Nach einer blutigen Auseinandersetzung wurden alle Überlebenden – darunter Maximoff – angeklagt. Der Verteidiger Jacques Isorni verlangte von ihm, über das Leben der Rom_nija zu schreiben, damit er diese Hintergrundinformationen für sein Plädoyer verwenden konnte. Daraufhin gab ihm Maximoff die Geschichte der Ursitory.[1]
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Roman schließlich veröffentlicht. Besonders erwähnenswert ist, dass dieser Roman sich ausschließlich mit der Ausgrenzung und Anfeindung zwischen Rom_nija beschäftigt und nicht auf die Diskriminierung seitens Nicht-Rom_nija eingeht. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Beate Eder-Jordan stellt die Frage, ob dies daran liegen könnte, dass der Roman zwar nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht, jedoch davor geschrieben wurde. Nach der Ermordung der Rom_nija durch die Nationalsozialisten wäre ein Roman, der nur Probleme der Rom_nija untereinander thematisiert, wohl nicht mehr möglich gewesen.
Die Geschichte handelt von dem Rom Arniko und seiner Familie. Seine Großmutter Dunicha ist eine Hexe und wird deshalb und weil man ihr unterstellt, den Vater Arnikos durch Magie getötet zu haben, von den anderen Stammesmitgliedern gemieden und letztendlich umgebracht. Kurz nach Arnikos Geburt erscheinen seiner Mutter Tereina drei Schicksalsengel – die Ursitory –, welche über die Zukunft des Kindes entscheiden sollen. Sie prophezeien der Mutter, dass Arnikos Leben an das eines Holzscheites gebunden ist. Würde dieses zur Gänze verbrennen, so müsse er sterben. Nachdem der Stamm Dunicha getötet hat, sind Tereina und Arniko gezwungen zu fliehen.
Menyhért Lakatos
Märchen der langen Nächte
Der Schriftsteller Menyhért Lakatos wurde 1926 in Ungarn geboren. Während des Zweiten Weltkrieges und der immer stärker werdenden Verfolgung der Rom_nija musste er flüchten und seine Schulausbildung bis nach 1945 abbrechen. Nach seinem Abschluss an der Technischen Universität in Budapest setzte er sich vermehrt für eine bessere Ausbildung der Rom_nija ein. Menyhért Lakatos verstarb am 21. August 2007.
In seinem Werk Märchen der langen Nächte beziehungsweise, der ausgewählten Geschichte, Der unglückliche König Ladar aus dem selbigen Werk, erzählt er eine zauberhafte und mystische Geschichte über König Ladar und seinen Kampf gegen den Teufelskönig.
Hierbei handelt es sich um ein typisches Motiv in der mündlich überlieferten Rom_nija-Literatur, genauer gesagt im Märchen (parmisi). Das Märchen war lange Zeit die am stärksten ausgeprägte Form der Literatur der Rom_nija.
Die Geschichte erzählt das Leben vom unglücklichen König Ladar, der, nachdem er eine Wette verloren hat, in die Fänge des Teufelskönigs und seiner Frau, einer bösen Hexe, gerät. Die Tochter der beiden, Judinca, verliebt sich in Ladar und hilft diesem, die ihm gestellten Aufgaben zu lösen. Erst wenn ihm dies gelingt, gibt der Teufelskönig ihm nämlich die Freiheit zurück. Am Ende gelingt Judinca und Ladar die Flucht, jedoch werden sie mit einem Zauber belegt, der dazu führt, dass sie sich nicht mehr aneinander erinnern können. Nach einigen Hindernissen, die sich ihnen in den Weg stellen, finden sie letztendlich zueinander.
Bert Pertup
Hundert Jahre und ein Tag
Bert Pertrup wurde 1913 in München in eine wohlsituierte Sinti-Familie geboren. Seit 1965 veröffentlichte Bert Pertrup Romane (Mandelblüte, Der Banjospieler, Verwandlung im Zwielicht, …). Im Folgenden soll der Roman Hundert Jahre und ein Tag (1981) besprochen werden. Pertrup verarbeitet in diesem Werk (unter Pseudonym) seine Familiengeschichte – jene einer Sinti-Familie[3] aus der Oberpfalz. Die Geschichte spielt zwischen 1878 und 1958 und vermischt Fakt und Fiktion. Der Roman stellt die Geschichte einer Roma-Familie dar, ohne zu idealisieren oder ins Kitschige abzudriften.
Nedjo Osman
Es ist nicht leicht. Zigeuner zu sein
Auch das Gedicht Es ist nicht leicht. Zigeuner zu sein von Nedjo Osman greift diese Thematik wieder auf. Er wurde 1958 in Mazedonien geboren und lebt und arbeitet seit 1995 in Deutschland, nachdem er seine Heimat nach Ausbruch des jugoslawischen Bürgerkrieges verlassen musste. Nedjo Osman hat sich einen Namen als Schauspieler, Journalist und Dichter gemacht. Das Gedicht Es ist nicht leicht. Zigeuner zu sein thematisiert das Fremd- und Ausgestoßen-Sein. Der Autor beschreibt, wie Nicht-Rom_nija auf ihn reagieren und wie sie mit ihm umgehen.
Auch diverse altbekannte Vorurteile werden hier angesprochen.
Es ist nicht leicht. Zigeuner zu sein
Frag nicht
Warum ich nicht lache
Nein, ich bin nicht wie einst
Frag bei Gott nicht
Wie es in mir aussieht
Frag nie
Warum ich umherirre
Frag nicht
Es ist nicht leicht, Zigeuner zu sein
Teufel nannte man mich
Einen schwarzen, einen dreckigen
Frag nicht
Mühsam erwacht der Traum
In mir ist immer Winter
Ich spiele auf, nicht aus Freude
Ich spiele auf, die Wölfe fern zu halten
Ich spiele auf, sie schlaftrunken zu machen
Frag nicht
Was aus mir wird
Vielleicht beglückt mich eine alte Zigeunerin
Mit ihrer Träne
Oder mit ihrer Wehmut
Es ist nicht leicht, Zigeuner zu sein
Sie fragen nicht
Sie schicken mich zum Teufel
Sie schicken mich nach Indien
Sie fragen nie
Warum ich singe
Frag nicht
Wie mir zumute ist.[4]
Tamás Jónás
Als ich noch Zigeuner war
Jónás wurde 1973 in Ungarn in ärmlichen Verhältnissen geboren. In seinem Buch Als ich noch Zigeuner war (auf Deutsch 2006 erschienen) beschreibt er seine Kindheit als Rom in Ungarn. Schonungslos ehrlich und mit einem großen Maß an Selbstironie berichtet er von seiner armen Familie, seinem Aufenthalt in Kinderheimen, seinem Erwachsenwerden usw. Wenn man ihn als literarische Figur betrachten würde, so würde er den Gegenpart von Arniko aus Matéo Maximoffs Les Ursitory einnehmen – den Antiheld.
„Ich bin Thomas, ich bin Jona, ich bin Zigeuner … Ich bin provokativ, mein Gesicht ist rund, meine Haare sind schwarz, ich bin leidenschaftlich, ich neige zum Nervenzusammenbruch, zum Eigennutz, zur Verbitterung. Ich bin ehrlich, auf schmerzhafte Art, wie die grell strahlende Sonne ...“[5]
Einer der Hauptgründe für die Textauswahl ist, neben dem schon erwähnten eigenwilligen Stil des Autors, auch das, was Tamás Jónás verkörpert. Er repräsentiert eine neue Generation von Rom_nija. Jene, die offen zu ihrer Herkunft stehen und diese selbstbewusst nach außen tragen. Jónás gehört nicht mehr zur Kriegsgeneration, die sich oftmals von den Nicht-Rom_nija abschottete und sich aus Angst vor Rassismus selbst verleugnete.
Tamás Jónás steht für den Wandel, der sich in der Rom_nija-Gesellschaft vollzogen hat.
Ronald Lee
Goddam Gypsy
Ronald Lee wurde 1934 in Montreal geboren und gehört zu den Kalderas-Rom_nija. Die Kalderas sind eine Art Gruppierung oder Stamm der Rom_nija. Das Wort selbst bedeutet „Kesselflicker“ und leitet sich von dem rumänischen Wort für Kessel ab. Lee ist ein kanadischer Autor, Linguist und eine tragende Figur im Kampf für die Rechte der Rom_nija. Seit 1965 setzte er sich für Rom_nija in Kanada ein und versucht, die Barrieren zwischen Rom_nija und Nicht-Rom_nija abzubauen. Er war ein Vertreter der International Roma Union (IRU), welche 1978 vor den Vereinten Nationen das Anliegen einbrachte, als NGO anerkannt zu werden.
Durch Ronald Lees Bemühungen um die Anerkennung der International Roma Union als NGO wurden in weiterer Folge die Rom_nija als Minderheit anerkannt und die Wahrung ihrer Rechte und Kultur erreicht (zumindest theoretisch). Als NGO gehört die IRU den Vereinten Nationen an. Sein Buch Verdammter Zigeuner (Goddam Gypsy) erschien 1971 und erzählt die teilweise autobiografische Geschichte eines Rom in den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Kanada. Ronald Lee verstarb am 25.01.2020.
Die Identität der Rom_nija scheint für viele in der Mehrheitsgesellschaft immer noch ein Mysterium zu sein, da die meisten nur das Konstrukt „Zigeuner“ kennen. Die Rechte der Rom_nija werden in vielen Ländern weder geschützt noch respektiert und schon gar nicht gefördert, auch dies trägt zum Identitätsverlust bei.
Es gibt noch viele mehr…
Diese Liste bildet nur einen kurzen und selektiven Abriss der vielen Roma Autoren und Autorinnen dar. Im Jahr 2018 erschien das Buch „Die Morgendämmerung der Worte – Moderner Poesie-Atlas der Roma und Sinti“ als Band der ANDEREN BIBLIOTHEK. Dieses Werk bildet eine umfassende Sammlung von Gedichten von verschiedenen (Roma)-Autoren und Autorinnen aus der ganzen Welt. Der Herausgeber Christian Döring wendet sich in einem Brief mit folgenden Worten an den Leser:
„Wir haben lange auf ein solches Werk gewartet. Die meisten von uns wissen bisher wenig über die Kultur der Roma und Sinti, geschweige denn von ihrer Sprache, dem Romanes – das von mehreren Millionen Menschen in Europa gesprochen wird. Die Lyrik der Roma und Sinti, die wir als derart umfassenden Poesie-Atlas erstmals im deutschsprachigen Raum vorstellen – übersetzt aus dem Romanes und 21 weiteren Sprachen und Dialekten –, ist uns als besondere Form des sprachlichen Ausdrucks großer ethnischer Minderheiten mit ihrem Anspruch auf Selbstbestimmung nicht weniger unbekannt. Die Ignoranz gegenüber den ‚Roma und Sinti‘ und ihren ‚Sprachen‘ hat in Deutschland aber auch noch eine andere, eine furchtbare Tradtition, die von der Ausgrenzung einer fremden Kultur zur Vernichtung unter den Nationalsozialisten geführt hat. Angesichts dieser Geschichte wünsche ich mir viele, viele Leser!“ [6]
Wie schon erwähnt bleiben viele Namen unerwähnt, die Liste wird jedoch stetig erweitert und ergänzt werden.
Das Gedicht „Bruder“ von Lolotz Birkenfelder, einem deutschen Sinto beschreibt die Situation der Rom_nijaa in der Literatur als auch im realen Leben treffend und fasst diese gut zusammen. Das Gedicht entstand 1979 für das Buch Zigeuner heute.
Lolotz Birkenfelder
Bruder
Bruder, welchen Preis habe ich nicht bezahlen müssen!
Ihr habt mein Wesen gestohlen,
Mir mein Bewusstsein vernichtet
Und meine Zunge gelähmt,
Um mich zu demütigen und von den anderen zu trennen.
Meine Kultur wollt ihr begraben,
Meine Lebensweise bestimmen,
So daß [sic!] ich schließlich nicht mehr weiß, wer ich selbst bin.
Bruder, welchen Preis müssen wir bezahlen!
Ihr habt mich zum Gespött der Welt gemacht.
Ihr reißt eure Witze auf meine Kosten.
Es ist das Zwanzigste Jahrhundert
Und ihr solltet mit der Zeit gehen.
Bruder, welchen Preis müssen wir noch bezahlen!
Knochen und Asche von 500 000 Menschen
Liegen zerstreut in der Erde.
Bruder, wir sind in Deutschland geboren.
Vater, Mutter, Großvater, Urgroßvater sind hier geboren.
700 Jahre geknechtet und verfolgt.
Und noch immer bist du kein Deutscher.
Bruder, welch ein Preis!
Bruder, dein Name ist auf der Speisekarte.
Mit deinem Namen machen sie deutsche Kultur.
Opern, Operetten und Theater spielen sie mit deinem Namen.
Kaiser, Könige und Staatsmänner lieben deine Musik.
Aber dich und deine Lebensart wollen sie nicht anerkennen.
Bruder, wir wollen keinen Preis mehr bezahlen!
Bruder, in den Hochhäusern, in die sich dich verbannt haben,
Wird deine weinende Geige verstummen.
Bruder, lege dich hin - du bist tot! [7]
[1] Maximoff, Matéo: Die Ursitory. Aus dem Französischen von Walter Fabian. 5. Auflage. Zürich: Unionsverlag, 2001. Seite 150 -151. [Frz. Erstausgabe: „Les Ursitory“. Paris: Flammarion, 1946.]
[3] Anmerkung: Als Sinti werden unter anderem in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum lebende Roma bezeichnet.
[4] Osman, N. Nedjo; Konuk, A.Kadir; Erenler, Ali und Mentzel, Marion: Patrin. Siir, Dört Dilden. Istanbul: Belge Yayınları, 1999. Seite 37
[5] Jónás, Tamás: Als ich noch Zigeuner war. Erzählungen. Hrsg. von Magdolna Janni. Aus dem Ungarischen von Clemens Prinz. Deutsche Erstausgabe. Budapest: Kortina Kiadó, 2006. Umschlagtext
[6] Döring, Christian (Hsg.): Die Morgendämmerung der Worte. Moderner Poesie-Atlas der Roma und Sinti. Brief an den Leser. Berlin, 2018.
[7] Birkenfelder, Lolotz: „Bruder“. Zitiert nach: Geigges, Anita und Wette, W. Bernhard: Zigeuner heute: Verfolgung und Diskriminierung in der BRD; eine Anklageschrift. Mit einem Vorwort von Eugen Kogon und Grusswort von Yul Brunner. 1. Auflage. Borneheim-Merten: Lamuv-Verlag, 1979. Seite 41