Verschwundene Romasiedlungen im Mittelburgenland

Im Jahr 2020 erschien das Buch „Einfach weg! Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland“ in dem sich die Historiker Herbert Brettl und Gerhard Baumgartner auf die Spurensuche nach den vergessenen Siedlungen machten. Herausgekommen ist eine beachtliche Sammlung und der Nachweis, dass es im Burgenland vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten über 120 Romsiedlungen gab. Hier eine Auflistung weiterer Orte (Auszug) in alphabetischer Reihenfolge:

 

Großwarasdorf

Im Jahr 1775 wurden hier drei Roma-Haushalte erfasst, 100 Jahre später im Jahr 1873 lebten 5 Romafamilien in Großwarasdorf. Zwischen 1933 und 1936 wurden insgesamt zwischen 13 und 15 im Ort lebende Rom_nija erfasst.

„In den Jahren 1938 und 1939 begann die systematische Verfolgung der Roma. Den Mitgliedern der drei in Großwarasdorf 1938 ansässigen Romafamilien Hodosi, Horvath und Tömö gelang zum Großteil die Flucht zu Verwandten nach Ungarn, einzelne wurden ab 1940 zeitweilig im „Zigeunerlager Lackenbach“ interniert und zur Zwangsarbeit gezwungen.“[10]

Nach dem Krieg kehrten viele Mitglieder der Familien Horvath und Holsdosi in ihren Heimatort zurück, einer von ihnen war der bekannte Zymbalspieler Stephan „Pisti“ Horvath, der 2019 verstarb. Nachdem die letzten Häuser der Romafamilien im Jahr 2020 abgerissen wurden, endete damit die 250-jährige Geschichte der Rom_nija im Ort.

 

Lackenbach

Zwischen den Jahren 1879 und 1886 wurden in Lackenbach jährlich Geburten von Rom_nija Kindern verzeichnet. Die Siedlung, die in der Zwischenkriegszeit entstand, bestand aus zwei bis drei Hütten, in denen zwischen 1925 und 1936 zwischen 15 und 16 Rom_nija lebten. Über die Zeit des Nationalsozialismus notiert Herbert Brettl folgendes:

„Über den genauen Ablauf der Deportationen der Roma aus Lackenbach gibt es keine gesicherten Informationen. Die Roma aus der Siedlung wurden sowohl ins 1940 errichtete ‚Zigeunerlager Lackenbach‘ als auch in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. Die in Lackenbach geborenen und lebenden Otto, Gertrude, Margarethe, Gisela, und Elfriede Opposich, die aber nach Neckenmarkt und Großwarasdorf zuständig waren, fanden während des Holocausts ihren Tod.“[18]

Nach dem Kriegsende kehrten nur wenige Rom_nija in ihre Heimatgemeinde zurück. Im Jahr 1982/83 gaben 5 Personen in Lackenbach an, dass sie zur Volksgruppe der Rom_nija gehören. 1984 wurde die erste Gedenkstätte in Österreich für die im Nationalsozialismus ermordeten Rom_nija und Sinti_zze enthüllt.

 

Langental

In Langental siedelten sich die ersten Rom_nija im 19. Jahrhundert an. Im Jahr 1873 wurden im Ort sieben Romafamilien, bestehend aus 35 Personen, erfasst. In Langental lebten die Rom_nija nicht segregiert am Ortsrand, sondern in ortsüblichen Wohnungen der Landarbeiter im Ort.

„Die weitgehende soziale und wirtschaftliche Integration in die Ortsbevölkerung könnte erklären, warum im Rahmen der ungarischen Volkszählungen die Roma von Langental nicht als ‚Zigeuner‘ ausgewiesen wurden.“[19]

Eine Volkszählung von 1933 beziffert, die im Ort lebenden Rom_nija mit 187 Personen, das entsprach einem Bevölkerungsanteil von 15 Prozent. Im Jahr 1938, nach dem „Anschluss“ wurde ein Schulbesuchsverbot für Rom_nija Kinder ausgesprochen und den Rom_nija das Wahlrecht entzogen. Dafür verantwortlich war der NS-Landeshauptmann Tobias Portschy. Zahlreiche Rom_nija wurden zwischen 1938 und 1939 als Zwangsarbeiter auf Großbaustellen und in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. Nach dem Krieg kehrten 77 in Langental geborene Rom_nija in ihre Heimatgemeinde zurück. Die lokale Polizeibehörde erhielt kurz nach dem Krieg, genaue Informationen über die Überlebenden, ihr Schicksal in den Konzentrationslagern und den Verbleib ihrer Verwandten, teilten all dies aber den Langentaler Rom_nija nicht mit. Somit lebten diese in jahrelanger Ungewissheit, ob ihre Verwandten überlebt hatten oder nicht. Die Häuser, in die sie zurückkehren wollten, wurden von anderen bewohnt – sie kämpften Jahre um Opferfürsorgeleistungen und Haftentschädigung. Als diese endlich ausgezahlt wurde, waren viele Bezugsberechtigte bereits verstorben.

 

Neutal

Die ersten Aufzeichnungen über Rom_nija im westungarischen Raum gehen auf das 14. Jahrhundert zurück.

„In einem Teilungsbeschluss des Domkapitels von Eisenburg aus dem Jahre 1398 wird ein ‚Georgius Chigan‘ als Grundbesitzer im Dorfe ‚Wyfalu‘ genannt. Die erste schriftliche Urkunde über die Niederlassung von Roma auf dem Gebiet des Burgenlandes stammt vom Güssinger Grafen Christoph Batthyány aus dem Jahre 1674. […] Die älteste Registrierung von so genannten ‚Zigeunern‘ im Gebiet des heutigen Bezirks Oberpullendorf stammt aus dem Jahre 1773.“ [24]

In Neutal siedelten die ersten Rom_nija im Jahr 1873, dabei handelte es sich um eine Familie bestehend aus 7 Personen, deren Namen nicht bekannt sind. 1937 lebten 37 Rom_nija in Neutal. Festgestellt wurden diese durch sogenannte „Zigeunerzählungen“, die zusätzlich zur Volkszählung erfolgten. Wer dabei als „Zigeuner“ registriert wurde entschied die Gemeindeverwaltung bzw. Gendarmerie. Meist orientierten sich diese anhand der Berufe, genauer gesagt an jenen Berufen, die ihrer Meinung nach als „Zigeunerberufe“ eingestuft wurden, wie etwa: Nagelschmied, Musiker, Scherenschleifer oder Rastelbinder. Das Schicksal der in Neutal lebenden Roma im Nationalsozialismus war – wie in allen anderen burgenländischen Gemeinden – von Verschleppung, Deportationen und Zwangsarbeit geprägt. Nur elf Neutaler Rom_nija überlebten und kehrten zurück. Auch nach dem Krieg wurden Roma und Romnija in den Gemeinden ausgegrenzt und diskriminiert, ihre Forderungen auf Haftentschädigung und Opferfürsorge abgelehnt. Dies vor allem, weil ihnen viele Bürgermeister ein „arbeitsscheues“ und „asoziales Verhalten“ attestierten. Viele der österreichischen Rom_nija und Sinti_zze, die den Holocaust überlebten, erhielten bis heute keine oder sehr geringe Reparationsleistungen.

 

Ritzing

Im Jahr 1873 siedelten sich die ersten Rom_nija in Ritzing an. Bis Ende 1920, befand sich die Romasiedlung, das sogenannten „Zigeunerlager“, am Ende der langen Zeile. Im Jahr 1925 lebten 10 Rom_nija im Ort, bis 1938 steigt die Zahl auf 18 Personen. Am 30. April 1941 wurden 14 Ritzinger Rom_nija in das sogenannte „Zigeuner Lackenbach“ verschleppt. Danach verlieren sich ihre Spuren aber Brettl und Baumgartner gehen davon aus, dass sie im Vernichtungslager Kulmhof in Chelmno bzw. im sogenannten „Zigeunerlager Auschwitz-Birkenau“ ermordet wurden. Nach dem Krieg kehrte niemand nach Ritzing zurück.

Im Jahr 2019 wurde ein Denkmal für die Ritzinger Opfer des Nationalsozialismus errichtet.

 

Weppersdorf

Aus dem Jahr 1890 gibt es die ersten Aufzeichnungen über die Geburten von Romakindern im Dorf. Bis 1914 entstand eine Romasiedlung am Ortsrand von Weppersdorf und bis 1936 stieg die Anzahl der dort lebenden Rom_nija auf 24. Gleich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ereigneten sich die ersten Übergriffe auf die Weppersdorfer Rom_nija. Ab 1939 wurde alle Roma nach Dachau und dann weiter nach Buchenwald oder Mauthausen verschleppt und mussten Zwangsarbeit verrichten. Nur wenige Monate später wurden alle Romnija in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert. Auch sie mussten Zwangsarbeit leisten. Nur wenige überlebten den Nationalsozialismus, einige kehrten nach Kriegsende nach Weppersdorf zurück. Ende der 1950er Jahre verließen die meisten Rom_nija Weppersdorf, um sich in Oberpullendorf und Langental anzusiedeln.

 

Weitere Orte im Burgenland an denen sich Romasiedlungen befanden, die im Buch näher ausgeführt werden, sind:

Dobersdorf, Doiber, Girm, Glashütten bei Schlaining, Goberlingz, Grafenschachen, Gritsch, Grodnau, Grosshöflein, Günseck, Hammerteic, Harmisch, Haschendorf, Heiligenkreuz im Lafnitztal, Kaisersteinbruch, Kemeten, Kittsee, Kleinbachselten, Kleinmürbisch, Kleinmutschen, Kleinpetersdorf, Königsdorf, Krensdorf, Kroatisch, Ehrensdorf, Krobotek, Kukmirn, Kulm, Liebing, Limbach, Markt Allhau, Markt St. Martin, Marz, Mönchmeierhof, Neckenmarkt, Neudorf bei Landsee, Neudörfl, Neumarkt an der Raab, Neusiedl bei Güssing, Neustift an der Lafnitz, Neustift bei Güssing, Oberloisdorf, Oberpodgoria, Oberpullendorf, Oberwart, Oslip, Poppendorf, Rattersdorf, RAX, Redlschlag, Rohrbach, Rohrbach bei Mattersburg, Rudersdorf, Rumpersdorf, Schallendorf, Schandorf, Schattendorf, Schreibersdorf, Siegendorf, Sieggrabe, Sigless, Spitzzicken, St. Kathrein, St. Martin an der Raab, Sulzriegel, Trausdorf, Unterschützen, Unterwart, Walbersdorf, Weichselbaum, Weinberg, Welgersdorf, Wiesfleck, Willersdorf, Zagersdorf, Zahling, Zuberbach

 

 

Nachweise:

[10] Baumgartner, Gerhard; Brettl, Herbert: „Einfach weg“ Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland. Hrsg. Von KANZLEI – Internationaler Verein für Wissenschaft und Kultur; Wien, Hamburg: new academic press, 2020. . Seite 110

[18] Ebd. Seite 187

[19] Ebd. Seite 188

[24] Ebd. Seite 242