Das Thema Musik bietet schon seit langem einen fruchtbaren Boden rund um zahlreiche Mythen und Vorurteile. Rom_nija wird seit jeher unterstellt, dass ihnen die Musik im Blut liege oder sie eine besondere, zauberhafte Fähigkeit hätten, Menschen damit in den Bann zu ziehen. Der „Teufelsgeiger“ ist wohl eines der bekanntesten Stereotypen, das über Jahrhunderte in der Literatur der Nicht-Rom_nija und auch in Songtexten der Schlager- und Popmusik propagiert wurde.
Franz Liszt und die Musik der Roma
Der bedeutende Komponist Franz Liszt (1811-1886) aus Raiding, heute Burgenland, gehörte zu den wenigen Menschen seiner Zeit, die sich mit großem Interesse, Hingebung und Aufgeschlossenheit mit der Kultur der Rom_nija beschäftigten.
Bereits als Kind war er fasziniert von der Musik der ungarischen Rom_nija, von den Musikern, die ohne starre Notenvorgaben und Kompositionsregeln ein großes Repertoire an Eigen- und Fremdkompositionen hatten. Er studierte den wechselseitigen Einfluss von ungarischer und Roma-Musik. Er zählte zu den Bewunderern von János Bihari:
"Die Töne, welche der Zaubergeige entstiegen, fielen wie Tropfen einer geistreichen Essenz in unser bezaubertes Ohr. Sein Spiel, obwohl von jener Gluth durchdrungen, ohne welche ein ungarisches Auditorium sich nicht fortreißen lässt, war keineswegs mit Passagen und Nebensächlichkeiten überladen..." (F. Liszt: "Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn").
Weiters studierte er auch die Musik der spanischen, rumänischen und russischen Rom_nija. 1859 schrieb er ein über 300 Seiten umfassendes Buch in französischer Sprache "Des Bohemiens et de leur musique en Hongrie", das 1861 unter dem Titel "Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn" erschienen ist.
So sehr er die Musik der Rom_nija auch geschätzt haben mag, so dürfte er den Menschen gegenüber eine sehr ablehnende Haltung gehabt haben. Franz Liszt schreibt in dem diesem Buch über die Lebensweise der Roma:
„Autorität, Gesetz, Regel, Vorschrift, Grundsatz, Verpflichtung sind ihm unausstehliche Begriffe, ebenso wohl weil, um sie in sich aufzunehmen, man sie mit einer anhaltenden Aufmerksamkeit des Geistes überlegen muss, die ihm antipathisch ist, weil er lieber die übelsten Folgen seines zweck- und ziellosen Lebens erträgt, dessen müßiges Umherschweifen nur durch die Anreizung des Instinkts und der Einbildung bestimmt wird. Dieses Suchen nach einer wilden, weil unbedingten Freiheit erzeugt natürlich eine unbesiegbare Scheu gegen jede Arbeit …“[1]
Die Liebe zur Musik der Roma spiegelt sich auch in seinen eigenen Kompositionen wider. So erklingt in der XII. Rhapsodie nach dem einleitenden Teil die Melodie "Allegro zingare". Dies ist eine Komposition des legendär gewordenen Primas János Bihari (1764-1828).
Puszta-Romantik
Rom_nija waren immer einer stark ambivalenten Sichtweise und auch Behandlung ausgesetzt: Lange wurden sie, vor allem in der fiktiven Literatur als exotisch, freiheitsliebend und wild beschrieben, in Alltagsleben sah man sie als kriminellen Abschaum, vor allem aber als Außenseiter an. Deutlich sichtbar werden solche Vorurteile leider auch in der Nachkriegszeit im Burgenland. Als man versuchte den Tourismus wieder anzukurbeln, behalf man sich altbekannter Stereotype: Man warb mit „Puszta-Romantik“ und „Zigeunerflair“. Plötzlich gab es überall „Zigeunermusik“, und verschiedene Gerichte, wie „Zigeunerschnitzel“ und „Zigeunergulasch“ wurden angeboten.
Der Historiker Herbert Brettl schreibt dazu in seinem Blog:
„Während „Zigeuner“ auch nach 1945 weiterhin stigmatisiert, diskriminiert und unerwünscht waren, setzte der zunehmend expandierende Burgenlandtourismus auf den „Zigeunerflair“. Zigeunerschnitzel, Zigeunerspieß, Zigeunerbaron oder Zigeunermusik durften da nicht fehlen. Mitunter bediente man sich auch „unechter Zigeuner“, um die Gäste bei Laune zu halten.
Der Polyglott Reiseführer beschreibt das Burgenland unter anderen: „Charakteristisch für das Burgenland sind u. a. die Gaststätten und Weinlokale in traditionellen alten ‚Scheunen‘, in ‚Pußtakellern‘, in ‚Reitställen‘ usw., wo zur Unterhaltung der Gäste Stimmungsmusik und Zigeunermusik geboten wird. Die dort auftretenden „Zigeuner” sind nur selten „echt”, doch sind sie wegen ihrer malerischen (meist ungarischen) Trachten und der ausgezeichnet dargebotenen Zigeunermusik sehr beliebt. Zigeunermusik und Zigeunerlieder kann man (neben ungarischen Volksliedern) u. a. hören in Illmitz, Mörbisch, Oslip, Podendorf, Purbach, Rust, St. Margarethen, Wallern, Eisenstadt, Bad Tatzmannsdorf. Dort und auch in zahlreichen anderen Orten wird auch Stimmungs- und Unterhaltungsmusik geboten. Bekannt sind u. a. auch die zweimal wöchentlich stattfindenden ‚Pußtanächte‘ von Wallern, mit Tamburizza-(kroatisch) und Zigeunermusik.“(Polyglott Reiseführer Burgenland; München 1974 S. 16) Kurze Anmerkung: Im Dorf Wallern lebten nie Kroaten und vor 1940 lebte in Wallern ein Roma.“[2]
Die traditionelle Musik der Burgenland-Rom_nja stammt ursprünglich von der Musik der ungarischen Rom_nja ab.
Ein traditionelles (ungarisches) „Roma-Lied“ besteht aus jeweils drei verschiedenen Liedern mit unterschiedlicher Bedeutung, Rhythmus, Text, die zu einem zusammengefügt werden. Es handelt sich also hierbei um drei voneinander unabhängige, selbstständige Kompositionen.
Der erste Teil wird „hallgato“ genannt. Dieser Begriff kommt aus dem Ungarischen und bedeutet auf Deutsch „zum Zuhören“. Das Lied selbst ist langsam und melancholisch. Hier wird nicht getanzt. Die Texte haben meist einen traurigen Inhalt.
„Lassú“ oder auf Deutsch „langsam“ bezeichnet den zweiten melancholischen Teil des traditionellen Roma-Liedes. Es handelt sich hierbei ebenfalls um einen langsamen Teil, jedoch mit Rhythmus und Gesang. Die Liedtexte beschäftigen sich vor allem mit Themen wie: Tod, Liebeskummer, … – also traurigen Themen.
Der dritte Teil heißt „gyors Csárdás“, auf Deutsch „schneller Tanz“. Dies ist ein schnelles, rhythmisches Lied mit Gesang. Bei diesem Teil ist es „Pflicht“, zu tanzen, und es werden meist heitere Texte gesungen.
Die beiden letzten Teile beinhalten typische Themen der mündlichen Roma-Literatur, die eben in musikalischer Form dargeboten werden. Diese Musik hat nichts mit der in der breiten Öffentlichkeit bekannten ungarischen Volksmusik zu tun, die oft als „Zigeunermusik“ verkauft wird.
Gegenwart
In der Gegenwart verkörpern vor allem zwei Gruppen die burgenländische Roma-Musik: Die „David Samer Banda“ und "Romano Rath" ("Roma-Blut"). David Samer ist übrigens der Sohn von Hans Samer, der als einer der bekanntesten Vertreter der traditionellen, burgenländischen Roma-Musik galt. Hans Samer verstarb 2012.
Im Gegensatz zur Instrumentalmusik ist die Liedtradition der Burgenland-Roma bereits beinahe verlorengegangen. In den letzten Jahrzehnten wurden jedoch im Umkreis des Oberwarter Vereins Roma traditionelle Roma-Lieder wiederentdeckt (z.B.: Gisela Horvath "Ma rov, ma rov").
Roma und Romnija sind jedoch in jedem Musikgenre zu finden. In Österreich zeigt sich eine breite Palette an Künstlerinnen und Künstlern in den verschiedensten Stilrichtungen – denn entgegen dem weitverbreiteten Klischee, machen Roma und Romnija eben nicht nur „Roma-Musik“. Hier stellen wir Ihnen nun die bekanntesten Musiker und Musikerinnen aus der Volksgruppe vor.
[1] Liszt, Franz: Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn. In: Gesammelte Schriften von Franz Liszt. Leipzig: Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel, 1910. Seite 20-21