Von den 7.000 bis 8.000 Burgenland-Rom_nija überlebten nur wenige Hunderte den Genozid. Die Großelterngeneration wurde nahezu vollständig ermordet. Das Zerbrechen traditioneller Zusammenhänge, Identitätsverluste, Armut und die kaum zu bewältigenden traumatischen Erlebnisse waren die Folge. Die Rom_nija standen auch materiell vor dem Nichts, ein Großteil der Siedlungen war von der Mehrheitsbevölkerung geplündert und zerstört worden. Ihre über Jahrhunderte tradierte Nischenberufsstruktur konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden. Innerhalb der Mehrheitsbevölkerung hatte sich kein Schuldbewusstsein entwickelt. Rassismus, Vorurteile und Stereotypen prägten weiterhin das Alltagsleben der Burgenland-Rom_nija und führten zu einer ständigen Gratwanderung zwischen Assimilation und Rückzugstendenzen. Namensänderungen und die Abwanderung in die Anonymität der größeren Städte waren vielfach die Folge.
Zum Verschwinden der rund 120 Romasiedlungen des Burgenlandes von Gerhard Baumgartner
Neue Vorteile – neue Repression
Ein 1948 vom damaligen österreichischen Innenminister Oskar Helmer herausgegebener Erlass verdeutlicht, dass eine kritische Reflexion der Vorurteile gegenüber Rom_nija und Sinti_zze auch seitens höchster politischer Repräsentanten nicht stattfand.
„Dem Amte ist zur Kenntnis gelangt, daß das Zigeunerunwesen in einigen Gegenden des Bundesgebietes wieder im Zunehmen begriffen ist und sich bereits unangenehm bemerkbar macht. Um auf die Bevölkerung aufmerksam zu machen, sollen sich die Zigeuner oftmals als KZ-ler ausgeben. Soweit die Voraussetzungen nach der Ausländerpolizeiverordnung gegeben erscheinen und die Möglichkeit einer Außerlandschaffung besteht, wäre gegen lästige Zigeuner mit der Erlassung eines Aufenthaltverbotes vorzugehen und ihre Außerlandschaffung durchzuführen.“
„Um uns hat sich überhaupt niemand gekümmert, was sollten sie sich auch kümmern? Es heißt ja, sie sind selbst besetzt worden, 1938 sind die Deutschen eingereist und haben alles kaputt gemacht. Also was hat dann das Ganze mit Österreich zu tun? Gar nichts. Vielleicht wäre es besser gewesen, wir wären drinnen geblieben in Auschwitz, dann hätten sie keine Schwierigkeiten. Man muss sich ja vorstellen, sie lassen 50 Jahre verstreichen, bis man dieses Gedenkjahr zustande bringt. Bis einmal über die KZ´ler wirklich geredet wird. Die Zigeuner sind ohnehin kaum vorgekommen, die sind nicht vorhanden, sie existieren gar nicht. Wir waren aber genauso drinnen wie die armen Juden, wir haben genauso gelitten ... Und dieses Gedenkjahr haben sie gebraucht, um uns dieses Almosen von 4.000 Schilling zu bezahlen? Da wäre es besser gewesen, sie hätten´s sich behalten, ehrlich ... Schöne Ehrengabe. Von wem kommt die Ehre? ... Ja, Wiedergutmachung? Was will man da wieder gut machen? Damals habe ich zweimal 15.000 Schilling gekriegt, das war die Wiedergutmachung …“
Übergehen der Roma bei den Opferentschädigungszahlungen
Die Einweisung von Rom_nija und Sinti_zze in Konzentrationslager wurde auch nach der 1949 erfolgten Miteinbeziehung rassisch Verfolgter in die "Opferfürsorgenovelle" als "kriminalpräventive Maßnahme" gewertet. Lackenbach und die anderen Arbeitslager wurden als "Wohlfahrtslager" bezeichnet, wobei ehemalige SS-Offiziere als "integre" Zeugen dienten. Die österreichischen Behörden nützten, was die so genannten "Opferentschädigungszahlungen" betraf, diese gesellschaftspolitische Situation konsequent aus. Versuche von Rom_nija, finanzielle Hilfeleistungen zu erhalten, wurden entweder bürokratisch verschleppt oder mit dem zynischen Hinweis auf Unglaubwürdigkeit der Antragsteller nicht bewilligt. Der Analphabetismus vieler Rom_nija, bedingt durch die schwierigen ökonomischen Bedingungen in der Zwischenkriegszeit und das Schulverbot der Nationalsozialisten, kam als erschwerender Faktor hinzu. Zudem standen den Rom_nija und Sinti_zze keine Organisationen zur Verfügung, die ihre Interessen vertreten konnten. Die Ängste der Rom_nija waren zu groß, man wollte unbemerkt bleiben, um nicht neuerlich Hass hervorzurufen.
Gerhard Baumgartner schreibt über die Situation der Überlebenden in Holzschlag: „Die ehemaligen Häftlinge des „Zigeunerlagers Lackenbach“ mussten über Jahrzehnte um die Zuerkennung einer Haftentschädigung streiten. 1958 wurde das Gesuch der Agnes Horvath, geb. am 14.9.1902, mit der Begründung abgelehnt, dass ihre Haft im „Zigeunerlager Lackenbach“ eigentlich keine richtige Haft gewesen sei. Bis 1984 erhielten Überlebende des Lagers Lackenbach – wenn überhaupt – nur eine verminderte Haftentschädigung.“
Der Grund dafür lag in den Angaben der ehemaligen Wächter des Lagers, denen man mehr glauben schenkte als jenen der Opfer. Baumgartner zitiert die Ablehnung des Gesuchs der Agnes Horvath im Jahr 1958:
„Aufgrund der Angaben der Zeugen Josef Leberl, Roman Neugebauer, Josef Hajek und Matthias Hlavin, ist als erwiesen anzunehmen, daß die Insassen des Lagers Lackenbach ihre arbeitsfreie Zeit weitgehend nach eigenem Ermessen gestalten konnten und gelegentlich Urlaub und insbesondere an Sonntagen sowie nach der Arbeitszeit auch Ausgang erhielten, wobei es ihnen möglich war, Kinos und Bekannte zu besuchen … Im Hinblick auf die erwähnten Merkmale der Haft ergibt sich sohin schon daraus, daß die Anhaltung im Lager Lackenbach nicht als Haft zu werten war.“[1]
[1] Baumgartner, Gerhard; Brettl, Herbert: „Einfach weg“ Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland. Hrsg. Von KANZLEI – Internationaler Verein für Wissenschaft und Kultur; Wien, Hamburg: new academic press, 2020. Seite 135
„Zigeunerromantik“ um den Tourismus anzukurbeln
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte das Burgenland Touristen ins Land zu bringen. Dazu griff man auch gerne zu Übertreibung und zur Lüge. Über Jahrhunderte hinweg propagierte die Literatur verschiedenste Vorurteile und Fantasien über sogenannte „Zigeuner“, die als freiheitsliebend, wild und exotisch galten. Das dies nichts mit der Realität zu tun hatte, war wenigen bewusst und so spielte man auch im Burgenlandtourismus mit diesen Märchen, wie auch Herbert Brettl in seinem Blog festhält:
„Während „Zigeuner“ auch nach 1945 weiterhin stigmatisiert, diskriminiert und unerwünscht waren, setzte der zunehmend expandierende Burgenlandtourismus auf den „Zigeunerflair“. Zigeunerschnitzel, Zigeunerspieß, Zigeunerbaron oder Zigeunermusik durften da nicht fehlen. Mitunter bediente man sich auch „unechter Zigeuner“, um die Gäste bei Laune zu halten.
Der Polyglott Reiseführer beschreibt das Burgenland unter anderem: „Charakteristisch für das Burgenland sind u. a. die Gaststätten und Weinlokale in traditionellen alten ‚Scheunen‘, in ‚Pußtakellern‘, in ‚Reitställen‘ usw., wo zur Unterhaltung der Gäste Stimmungsmusik und Zigeunermusik geboten wird. Die dort auftretenden „Zigeuner” sind nur selten „echt”, doch sind sie wegen ihrer malerischen (meist ungarischen) Trachten und der ausgezeichnet dargebotenen Zigeunermusik sehr beliebt. Zigeunermusik und Zigeunerlieder kann man (neben ungarischen Volksliedern) u. a. hören in Illmitz, Mörbisch, Oslip, Podersdorf, Purbach, Rust, St. Margarethen, Wallern, Eisenstadt, Bad Tatzmannsdorf. Dort und auch in zahlreichen anderen Orten wird auch Stimmungs- und Unterhaltungsmusik geboten. Bekannt sind u. a. auch die zweimal wöchentlich stattfindenden ‚Pußtanächte‘ von Wallern, mit Tamburizza-(kroatisch) und Zigeunermusik.“
(Polyglott Reiseführer Burgenland; München 1974 S. 16) Kurze Anmerkung: Im Dorf Wallern lebten nie Kroaten und vor 1940 lebte in Wallern ein Rom.“[1]
[1] https://www.brettl.at/blog/unechte-zigeuner/
Die „große Wiedergutmachung“
Die so genannte "Große Wiedergutmachung" 1961 sorgte für eine leichte Verbesserung des Gesetzes betreffend der Anerkennung des Lagers Lackenbach. Die Schwierigkeiten für Rom_nija waren jedoch noch immer vorhanden. Nur eine Minderheit der Betroffenen konnte die KZ- und Opferrenten in Anspruch nehmen und die "Lackenbacher" blieben weiterhin Opfer zweiter Klasse. Sie bekamen lediglich 350 Schilling pro Haftmonat zugesprochen.
Erst unter massivem Druck der Öffentlichkeit sowie im Zuge des Gedenkjahres 1988 verbesserte sich mit der Novelle des "Opferfürsorgegesetzes" die Entschädigungslage der Rom_nija. Mitte der 1990er Jahre – 50 Jahre nach Beendigung des 2. Weltkriegs – wurde der Österreichische Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus ins Leben gerufen, in dem nun alle Betroffenen berücksichtigt werden sollen.