Rom_nija kamen wahrscheinlich im 13. und 14. Jahrhundert in das Gebiet des heutigen Bulgariens. Teile davon gehörten ab dem 14. Jahrhundert zum Osmanischen Reich. Ab dem 16. Jahrhundert wurden Rom_nija sesshaft, sie waren dort als Bauern und Handwerker erfolgreich.
Zur Zeit der Monarchie (1878-1946) hatten Rom_nija nie die gleichen Rechte wie Gadsche. Im Gegensatz zu Rumänien, weigerte sich der bulgarische König, die Jüdinnen und Juden und Rom_nija Bulgariens an das Hitler-Regime auszuliefern.
Im sozialistischen Bulgarien wurde versucht die Rom_nija zu assimilieren. Nomadisieren wurde verboten, ebenso die Pflege von Traditionen. Die Rechtssituation verwehrte den Minderheiten jedes politische Mitspracherecht.
Die Zahl der in Bulgarien lebenden Rom_nija wird auf 700.000 bis 800.000 Personen geschätzt. Gemäß den offiziellen bulgarischen Volkszählungsdaten des Jahres 1992 haben sich aber nur 313.392 Personen als Angehörige der Minderheit deklariert. Davon leben rund 50% in Großstädten. Unter den bulgarischen Rom_nija gibt es eine große Gruppe von Muslimen und eine große Gruppe von Bulgarisch-Orthodoxen. Im Jahre 1992 waren 8,5% der bulgarischen Rom_nija Analphabeten und 83% verfügten nur über eine Grundschulausbildung. Rassistische Vorurteile gegenüber Rom_nija sind weit verbreitet und im Jahre 1997 erklärten 72% der bulgarischen Bevölkerung, dass sie "prinzipiell" mit keinem Rom und keiner Romni befreundet sein möchten.
Bulgarische Massenmedien tendieren dazu, die Rom_nija als traditionell faul, nicht vertrauenswürdig und kriminell darzustellen. Die Rom_nija wurden durch den katastrophalen Zusammenbruch der bulgarischen Wirtschaft 1996 schwer getroffen. In der Region Plovdiv wurde sogar über Hungerrevolten unter den Rom_nija berichtet. In den späten 1990er Jahren berichteten die bulgarischen Medien über mehrere Polizeirazzien in Romavierteln von Sofia und anderen Städten mit Dutzenden von Fällen schwerer Misshandlungen durch die Polizei. Meldungen an die Polizei über rassistische Diskriminierung und Angriffe bleiben oft ungeahndet, ebenso wie Fälle von Polizeibrutalität. Ein Polizeioffizier, der "um seine Pistole zu entleeren" in eine Romasiedlung geschossen und dabei einen Mann getötet hatte, wurde nur zu einer bedingten Freiheitsstrafe und einer Geldbuße verurteilt.
Im Jahre 2002 wurde von der Regierung, unter Einbeziehung von Experten unabhängiger Menschenrechtsorganisationen, erstmals ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz ausgearbeitet, das einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen oder religiösen Gründen bietet.
Schulintegration für Chancengleichheit
Seit 2001 organisiert ein Regierungsprojekt zur "Verbesserung der Reform der Kinderwohlfahrt in Bulgarien" zusammen mit 19 lokalen NGOs erfolgreiche Vorschul- und Schultrainingsprogramme für Tausende Romakinder in Plovdiv, Stara Zagora, Sliven, Russe, Varna und Shumen. Im Jahr 2008 wurden an Schulen Tests in Mathematik und bulgarischer Sprache und Literatur durchgeführt. Die Ergebnisse der Roma-SchülerInnen, die eine bei dem Projekt teilnehmende Schule besuchten, war besser als das der anderen Roma-Schülerinnen, jedoch immer noch unter dem nationalen Durchschnitt. 2008/09 besuchten 2.500 Roma-Kinder eine im Projekt teilnehmende Schule. Da das Projekt Früchte trägt wurde bereits eine längerfristige Finanzierung gesichert.
Rom*nija als Sündenböcke
Die Corona-Pandemie führte in vielen Ländern Europas dazu, dass Rom_nija mit einem noch stärkeren Stigma belegt wurden. Sie wurden für die Pandemie verantwortlich gemacht oder als deren Hauptüberträger beschuldigt. In vielen Orten Bulgariens wurden Romasiedlungen abgeriegelt, damit die Mehrheitsbevölkerung nicht in Kontakt mit den dort lebenden Rom*nija kommen konnte:
„In Fakulteta leben etwa 20.000 Roma. Als die Pandemie vor mehr als einem Jahr begann, hieß es in den Medien, dass die Roma sich an nichts halten und das Virus in der Stadt verbreiten würden. Unter dem Viertel auf dem Hügel wurden Straßensperren errichtet. Diese Abriegelung sollte die Bulgaren davor "schützen", dass das Virus sich in der Stadt verbreitet. Die Roma konnten tagelang nicht mehr in die Innenstadt – außer zur Apotheke. "Das war alles eine Lüge", meint Kevin. "Hier in Fakulteta war kein Zentrum der Pandemie." Auch in anderen Städten wurden rund um die Roma-Viertel Checkpoints errichtet, etwa in Nowa Sagora, Kasanlak, Sliwen und Jambol.“[1]
2019 kam es zu rassistisch motivierten Übergriffen auf ein Romaviertel in dem Ort Gabrowo. Rom*nija wurden bedroht, verjagt und ihre Häuser teilweise niedergebrannt:
Der Auslöser war eine Prügelei. Drei angetrunkene junge Roma hatten in einem 24 Stunden geöffneten Supermarkt im Zentrum der Stadt einen Streit begonnen. Es kam zu einem Handgemenge mit einem Angestellten. Nichts, was man sich in seiner Nachbarschaft wünscht, aber auch kein vorsätzliches Handeln einer kriminellen Bande. Und doch verbreiteten sich die Bilder der Überwachungskamera rasant im ganzen Land. Selbst die Politik nutzte den Vorfall, um die Minderheit öffentlich zu diffamieren. Auf einer Pressekonferenz sprach der stellvertretende Premierminister Krassimir Karakatschanow von "immer unverschämteren Zigeunern". Swetlana Dontschewa schrieb auf Facebook: "Gabrowo muss von den Roma gesäubert werden." Dontschewa ist die Frau eines weiteren stellvertretenden Premierministers, der EU-Projekte zur Integration der Roma verantwortet.
So wie in Mitteleuropa gegen Flüchtlinge und Muslime gewettert wird, werden in Bulgarien die Roma systematisch diskriminiert und zum Stimmenfang genutzt. "Immer, wenn Wahlen bevorstehen – und ganz besonders, wenn die Umfrageergebnisse der rechten und konservativen Parteien niedrig sind oder sinken – kommt ein 'Konflikt' aufgrund eines Zwischenfalls auf", sagt der Soziologe Alexej Pamporow. "Und von diesem 'befreien' uns dann die Anführer der rechten Parteien." Pamporow ist außerordentlicher Professor der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften und beobachtet seit vielen Jahren, wie die politische Kommunikation und die Medien des Landes mit Stereotypen gegen Roma arbeiten. Der Rechtsruck in Europa ging auch an Bulgarien nicht vorbei und verschlimmerte die Situation der Roma. Die konservative Partei GERB, die bis auf eine kurze Unterbrechung seit 2009 den Ministerpräsidenten stellt, koaliert seit 2017 mit einer Allianz rechtsradikaler Parteien.[2]
Weiterführende Artikel zum Thema:
https://www.derstandard.at/story/2000090007319/im-vergessenen-roma-viertel-bulgariens
https://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/01/Danova.pdf
https://www.welt.de/politik/ausland/article113853696/Wie-dreckige-Zigeuner-Das-Elend-der-Roma.html
https://taz.de/Roma-in-Bulgarien/!5680702/
https://volksgruppen.orf.at/roma/meldungen/stories/3102421/
[1] https://www.derstandard.at/story/2000125481514/roma-als-suendenboecke-der-pandemie-in-bulgarien
[2] https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-05/bulgarien-roma-angriffe-diskriminierung-rechtsradikalismus-gabrowo-eu-wahlen